# taz.de -- berliner szenen: Katjuscha mit Birkenduft | |
Stalinorgel“ sagte man in Deutschland zu dem im 2. Weltkrieg eingesetzten | |
sowjetischen Raketenwerfer. Die Sowjets nannten ihn einfach „Katjuscha“, | |
was auf ein gleichnamiges russisches Lied von 1938 zurückgeht. Es handelt | |
von einer Frau, die ihren in den Krieg gezogenen Mann vermisst. Das Lied, | |
bis heute über Russlands Grenzen hinaus bekannt, ist also ein Kriegslied. | |
Man muss das nicht wissen. Es war ein besonders trüber, verregneter | |
Dienstag, dieser 19. November. Tausend Tage waren seit Beginn des | |
russischen Großangriffs vergangen. In Berlin fiel morgens der erste Schnee, | |
nachmittags gab es Demos vor der russischen Botschaft. Alle großen Medien | |
berichteten über den Krieg in der Ukraine. Auch das kann man ignorieren. | |
Am Abend dieses grauen Tages, als ich die Nachrichten und das Wetter nicht | |
mehr ertrug, ging ich in die Sauna. Wie so oft in den letzten 25 Jahren. Es | |
ist eine kleine ruhige Sauna, quasi „eventfrei“. Doch nicht an diesem | |
Dienstag. Da betrat eine Frau mit Filzmütze und einem von innen | |
beleuchteten Eimer den Schwitzraum und verkündete „Birkenaufguss“. Sie | |
nestelte an einem Gerät, „weil’s doch letztes Mal schon so lustig war, | |
gibt’s den auch heute mit Musik“. Ich mag keine laute Musik in der Sauna – | |
aber ich saß weit weg von der Tür und es war sehr voll. Nach den ersten | |
Takten brach die Musik ab, auch bei weiteren Versuchen. Aber es reichte, um | |
die Melodie zu erkennen. Sie hatten tatsächlich einen pseudo-russischen | |
Aufguss geplant, mit Birkenduft und „Katjuscha“. Am tausendsten Tag des | |
russischen Krieges in der Ukraine. | |
Das Lied lief dann später doch noch, sehr laut. Ich fragte höflich, ob das | |
der neue Standard sei, an solchen Tagen russische Kriegslieder zu spielen. | |
„Aber so was weiß doch keiner“, war die Antwort. Ist das Dummheit? Oder | |
einfach Ignoranz? | |
Gaby Coldewey | |
22 Nov 2024 | |
## AUTOREN | |
Gaby Coldewey | |
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