# taz.de -- Spurensuche im taz-Archiv: Jürgen Baldiga und die linke Zeitung | |
> Der legendäre Fotograf Jürgen Baldiga hinterließ in den 1980ern und | |
> 1990ern auch im jungen linken Tageszeitungsprojekt taz seine Spuren, wie | |
> eine kleine Suche im alten taz-Archiv beweist. | |
Bild: Selbstporträts: Jürgen Baldiga durch die Augen von Jürgen Baldiga | |
[1][Aus der taz] | Wenn ich Glück habe, mach ich noch ein Jahr, und dann | |
will ich wenigstens ein paar Kratzer an der Wand hinterlassen.“ Mit diesem | |
Zitat schließt ein Porträt über den Fotografen und Lyriker Jürgen Baldiga. | |
Das Stück ist in der taz vom 21. Februar 1991 erschienen, auf einer | |
Sonderseite jener Zeit, die rubriziert war mit „Leben mit dem Virus – Aids | |
in Berlin“. | |
Man findet diesen Text heute in der alten Archivdatenbank der taz, wo alle | |
Zeitungsseiten bis 1999 gespeichert sind. Auf die Idee der Suche im alten | |
taz-Archiv brachte mich der Dokumentarfilm „Baldiga – Entsichertes Herz“ | |
(Kinostart 28. 11.24, Salzgeber), der die Lebensgeschichte Baldigas ins | |
Kino bringt. | |
Jürgen Baldiga kam Ende der 70er in dieses sonderbare Gebilde Westberlin. | |
Sein Geburtsort: Essen, unterm Elternhaus lag die Kohle. Für den jungen | |
Jürgen war das kein Ort. Er wollte etwas anderes sein, er war etwas | |
anderes: schwul. Er hat Träume, irgendwas mit Kunst und Fotografie. In | |
dieser Zeit begann er intensiv Tagebuch zu führen – und zu vermerken, wenn | |
die taz mit ihm zu tun haben wollte. Die taz der 80er war sehr interessiert | |
an der schwulen Subkultur, nicht selten waren tazler:innen selber Teil | |
dieser, genauso wie Baldiga. | |
## Auskunftsfreudige kurze Hosen | |
Stöbert man etwas tiefer im Archiv, zeigt sich, was Baldiga wohl an der taz | |
besonders interessierte: Sie druckte seine Fotos. Am 12. Juni 1985 | |
bebilderte die Redaktion beispielsweise den Bericht zu einem | |
Grundsicherungsprogramm der Grünen mit einem Baldiga-Foto einer Rentnerin, | |
die in einem Mülleimer wühlt. | |
Auch in der fotografischen Kolumne „augen blicke“ finden sich diverse | |
Baldiga-Arbeiten. Am 13. August 1985 druckte die taz-Redaktion dort eine | |
Alltagsbeobachtung von ihm: Wir sehen einen älteren Herrn im Sonntagsanzug, | |
der angestrengt desinteressiert auf einen jungen Mann neben ihm reagiert – | |
dieser junge Mann trägt Rollschuhe, Basecap, Sweatshirt und vor allem | |
betont eng sitzende, auskunftsfreudige kurze Hosen. | |
## Kratzer an der Wand | |
Im Lauf der Zeit ändert sich die Bildauswahl der Redaktion: Jürgen wird | |
selbst Gegenstand der Berichterstattung, und eher dokumentarisch | |
eingesetzte Baldiga-Fotos weichen dezidiert künstlerisch angelegten | |
Arbeiten, vor allem seinen ausdrucksstarken Porträts. | |
Am 25. Juni 1988 widmet die Redaktion Jürgen Baldiga anlässlich des CSDs | |
sogar eine ganze Seite und feiert mit Arbeiten aus seinem Fotobuch „Tunten. | |
Queens, Tantes“ (Vis-à-Vis, 1988) eben jene legendären Damenimitatorinnen | |
des Westberlins der 80er: Tima »Die Göttliche«, Melitta Sundström, Pepsi | |
Boston. | |
Bis 1999 reichen die Spuren Jürgen Baldigas im taz-Kosmos. Dann wird das | |
alte Archiv ausgetauscht – und die taz scheint ihn zu vergessen. Erst 2004 | |
taucht sein Name wieder im – neuen – Archiv auf. Rund zehn Jahre zuvor, am | |
10. Dezember 1993, findet sich auf Seite 26 ein Baldiga-Selbstporträt – es | |
bebildert seinen Nachruf, Überschrift: „Unter Engeln“. Er hatte dann doch | |
mehr als nur ein paar Kratzer an der Wand hinterlassen. 🐾 | |
3 Dec 2024 | |
## LINKS | |
[1] /taz/Aktuelles/!v=8f20076f-2be2-41ba-b79b-5a03bb0ecc51/ | |
## AUTOREN | |
Manuel Schubert | |
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