# taz.de -- Bei ihm siegte die Frechheit | |
> Der Letzte aus der Epoche der großen Aufbrüche in der Kunst: Nachruf auf | |
> Daniel Spoerri, den Universaldilettanten | |
Bild: „Das Beste an mir sind meine Freunde“, sagte Daniel Spoerri gern | |
Als Sohn eines jüdischen Missionars 1930 im rumänischen | |
Donau-Hafenstädtchen Galati geboren, kam der zwölfjährige Halbwaise Daniel | |
Isaac Feinstein mit seiner Schweizer Mutter Lydia Spoerri nach Basel. Aus | |
der Summe dessen, was er in seinen ersten knapp 30 Lebensjahren so | |
getrieben und vernachlässigt hatte, resultierte 1959 die Selbstberufung zum | |
„Universaldilettanten“. Für seine erste Multiple Edition MAT ging er, | |
Frechheit siegt, auch Marcel Duchamp um Mitwirkung an, als der sich gerade | |
in einem Restaurant über einen Schweinskopf beugte – und Spoerri für dessen | |
Kunstbauchladen prompt einige seiner Rotoreliefs von 1935 zusagte. | |
Was von heute aus betrachtet beneidenswert verspielt und hierarchiefrei | |
anmutet, war auf der anderen Seite ernüchternd profan, denn im Unterschied | |
zu Duchamp hatte der spätere Eat-Artist Spoerri da noch nicht viel zu | |
beißen und somit auch wenig Ahnung vom Kochen. | |
Doch dann ergab sich eines Tages an Spoerris mobilem Esstisch im Hotel | |
Carcassonne die folgende Zufallssituation: Zwei Teller vom | |
Hochzeitsgeschirr seiner ersten Frau Vera Mertz, eine Bratpfanne, ein | |
Joghurtbecher, ein Glas, ein Füller, ein Päckchen Gauloises und ein | |
Behelfsaschenbecher wurden von Spoerri mit Klebstoff auf der Tischplatte | |
fixiert, in die Vertikale gekippt und an die Wand gehängt – fertig war das | |
Fallenbild! Ob ihm da schon bewusst war, dass er sich soeben, knapp am | |
Readymade vorbei, als Künstler unverzichtbar gemacht hatte? Es dauerte | |
jedenfalls nicht lange, da huldigten ihm die einflussreichen Kritiker Alain | |
Jouffroy und Pierre Restany. Letzterer nominierte ihn kurzerhand für das | |
Gründungsmanifest der Nouveaux Réalistes nach, der Rest ist | |
Kunstgeschichte. | |
Es folgten Ausstellungen in den weltweit wichtigsten Museen, die Heirat mit | |
Marie-Louise Plessen, Bühnenbilder für Peter Zadek, Happenings an den | |
unmöglichsten Orten und zwölf Jahre hochgradig unakademische Lehrtätigkeit | |
in Köln und München. Hier die Metropolen mit Großwesiren wie Duchamp, | |
Tinguely und Beuys, da die Kleinstädte mit den damaligen artist’s artists | |
Bernhard Luginbühl, Meret Oppenheim und André Thomkins: Beide Stränge | |
formten Spoerris Biografie, und vice versa haben sich in vielen dieser Orte | |
und Personen Spoerris Spuren erhalten. | |
Selbst als gebrechlich gewordener Gastgeber machte Spoerri noch eine gute | |
Figur, wie er mit Gehstock zwar, aber sonst recht forsch übers Gelände | |
seines Ausstellungshauses in Hadersdorf am Kamp führte. Weit ausholende | |
Gesten mit dem Geh- und Zeigestock waren nötig, um in all die Innen- und | |
Hinterhöfe seines Anwesens im Weinviertel nahe Wien zu weisen – und dabei | |
auch nicht das eiserne Ungetüm zu vergessen, das zwischen all den | |
Kunstobjekten verwirrte Blicke auf sich zog. „Das ist eine | |
Kettenhemdwaschmaschine“, erklärte der Besitzer mit fast kindlichem Jäger- | |
und Sammlerstolz. | |
Einmal gefragt, wo Spoerri sich ungefähr verorten würde, wenn zufällig ein | |
Maler aus ihm geworden wäre, antwortete er sinngemäß, das hätte sowieso nur | |
dann geklappt, wenn er 50 Jahre früher geboren und anstelle El Lissitzkys | |
bei den Konstruktivisten gelandet wäre. | |
Zeitlebens machte er keinen Unterschied zwischen gefeierten Künstlerinnen | |
und Künstlern aller möglichen Genres, verkannten Genies zwischen allen | |
Stühlen und dem ganz normalen Bodenpersonal. „Das Beste an mir sind meine | |
Freunde“, sagte er gern. Er hat sie fast alle überlebt und ihre | |
Hinterlassenschaften gehütet. Mit Daniel Spoerri ist aus seiner Epoche der | |
großen Aufbrüche nun auch der Last Man Standing 94-jährig abgetreten. | |
Andreas Schäfler | |
Längere Fassung [1][auf taz.de] | |
9 Nov 2024 | |
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Andreas Schäfler | |
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