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# taz.de -- Aus dem Magazin taz FUTURZWEI: Mein Rechtsdrall
> Arno Franks Tochter nennt ihn rassistisch, klassistisch und transphob.
> Zurecht? Befindet er sich etwa auf dem Schleichweg in den Faschismus?
Bild: Ist der Autor möglicherweise ein paar Mal zu häufig rechts abgebogen?
[1][taz FUTURZWEI] | Keine Ahnung, wann das angefangen hat mit meinem
Schleichweg in den Faschismus. Jedenfalls bescheinigt mir meine Tochter,
16, schon länger einen „Rechtsdrall“, womöglich zu Recht.
Erstmals verwendete sie diesen Begriff, als sie mir ein Referat über den
Unterschied zwischen Burka, Niqab und Hidschab vorlesen wollte – und ich
langsam wegdämmerte. „Sollen sie sich verhüllen, wie sie wollen“ sagte ich
irgendwann, „mir egal. Ich muss nicht auch noch lernen, wie der Quatsch
heißt.“
Ähnlich, führte ich weiter aus, verhalte es sich mit Schiiten und Sunniten.
Ich wisse zwar, dass es diese Glaubensrichtungen gebe. Wie bei Stalagmiten
und Stalaktiten könne ich mir aber auch hier den Unterschied nicht merken.
Hat mit meiner Lebenswelt nichts zu tun, finde ich nicht interessant.
Meine Tochter fand das islamophob und trollte sich. Ich rief ihr hinterher,
dass wir uns bei Gelegenheit gern mal über die feinen Unterschiede zwischen
Hussiten, Waldensern, Presbyterianern und Calvinisten unterhalten könnten.
Machte die Sache nicht besser.
Bald darauf gab es bei uns auf der Straße eine üble Prügelei. Wir konnten
vom Wohnzimmerfenster zusehen, wie die ethnisch leider recht homogene und
nur allzu gern in zweiter Reihe parkende Laufkundschaft des Wettbüros
irgendwelche Fehden austrug. Bald waren Polizei und Notarzt zur Stelle. Die
Polizei versuchte, die verfeindeten Gruppen voneinander zu trennen.
Die Tochter, vom Tumult alarmiert, trat hinzu und wollte wissen, was denn
da los sei. Ich sagte – wie ich glaubte – wertungsfrei und wahrheitsgemäß,
dass hier „unsere maghrebinischen Freunde gerade einen Zwist regeln“. Meine
Tochter fand das rassistisch, worauf ich, die Evidenz des Faktischen auf
meiner Seite wähnend, nicht ohne Theatralik aus dem Fenster deutete und
fragte, ob die Kombattanten etwa nach Sven-Erik, Lars oder Tobias aussähen.
Machte die Sache nicht besser und mir lange zu schaffen. Als mir endlich,
immerhin aus eigener Kraft, mein Denkfehler dämmerte und ich einräumte, bei
meiner etwas übereilten, allzu launigen und in Teilen vielleicht wirklich
rassistisch angekränkelten Einschätzung der Lage „damals, als es diese
Prügelei gab auf der Kreuzung“, die sozialen Aspekte nicht berücksichtigt
habe, fand meine Tochter das klassistisch.
Machte die Sache nicht besser.
Andermals erzählte meine Tochter empört, eine non-binäre Freundin sei im
Bus mit dem falschen Pronomen angesprochen worden: „Dabei will sie nicht
mehr als Mädchen gelesen werden!“ Worauf ich leichthin zu bedenken gab,
dass nur gelesen werden könne, „was nun einmal geschrieben steht“, das
Zeichenhafte einer äußeren Erscheinung gewissen Missverständnissen
vielleicht Vorschub leiste, ein X also durchaus als U „gelesen“ werden
wolle, nicht aber in jeder Situation darauf vertrauen könne, dass die
Leserin oder der Leser, um im Bild zu bleiben, über private und sicherlich
ebenso begründete wie berechtigte Umwidmungen bewährter Buchstaben
jederzeit im Bilde ist. Meine Tochter hörte sich das geduldig an und
verkündete, fein, nun sei ich auch noch transphob.
Machte die Sache nicht besser.
Neulich begleitete ich eine enge Verwandte zum Jobcenter. Die schwangere
Sachbearbeiterin ist eine 28-jährige Ukrainerin mit selbstermächtigten
Nacktschneckenlippen, Sonnensegelwimpern und angeklebten Luxuskrallen.
Meine enge Verwandte verdient genau zwei Euro zu viel, um in den Genuss
eines „Wohnberechtigungsscheins“ zu kommen. Das Dokument würde es meiner
engen Verwandten immerhin ermöglichen, weiter den absurden Traum von einer
bezahlbaren Wohnung zu träumen.
„Was würden Sie denn an meiner Stelle tun?“, fragte sie die
Sachbearbeiterin. Worauf ihr die Ukrainerin riet, von Frau zu Frau, doch
eine Wohnungsanzeige „mit Foto“ zu schalten. Ob sich da nicht reichlich
creepy Männer melden würden, wollte meine enge Verwandte wissen. Schon,
sagte die Sachbearbeiterin. Bei ihr habe das aber am Ende geklappt: „So
habe ich letztes Jahr meinen Mann gefunden. Und im Herbst“, sie tätschelte
ihren Bauch, „ist es so weit!“
Nachdem wir herzlich gratulierten und mit leeren Händen nach Hause
geschickt wurden, sagte meine enge Verwandte gewisse Dinge, die als
slawophobe sowie sexistische Herabwürdigung von Sexarbeiterinnen gelesen
werden könnten. Ich tadelte sie matt und bat darum, nichts davon meiner
Tochter zu erzählen.
Das würde die Sache nicht besser machen.
■ Dieser Beitrag ist im [2][Magazin taz FUTURZWEI] erschienen. Lesen Sie
weiter: Die aktuelle Ausgabe von taz FUTURZWEI N°30 gibt es jetzt [3][im
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28 Oct 2024
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## AUTOREN
Arno Frank
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