# taz.de -- „Feindbild Fußballfan“ | |
> Das Rechtshilfekollektiv Chemie Leipzig hilft seit zehn Jahren Fans bei | |
> Problemen mit der Polizei | |
Aus Leipzig Britt Schlehahn | |
Über einen Mangel an Arbeit kann sich das vor zehn Jahren gegründete | |
Rechtshilfekollektiv des Regionalligisten BSG Chemie Leipzig nicht | |
beklagen. Und bei den Fußballfans wird der ehrenamtlich geleistete | |
Rechtsbeistand auch künftig gefragt sein. Darauf deutet schon allein die | |
Debattenkultur vor wenigen Wochen auf dem Sicherheitsgipfel der | |
Innenminister:innen mit dem DFB und der DFL hin, bei dem Fanvertreter | |
als Gesprächspartner unerwünscht waren. Fabian Grundmann vom | |
Rechtshilfekollektiv (RHK) sagt: „Die Realitätsferne und Dummheit der auf | |
der Konferenz beschlossenen Punkte lässt uns einigermaßen sprachlos zurück. | |
Die beteiligten Innenminister:innen haben mit ihren populistischen | |
Forderungen – zentrale Stadionverbotskommission, dauerhafter Einsatz von | |
Fußballstaatsanwälten, mehr technische Überwachung im Stadion, | |
Infragestellung der sozialen Arbeit der Fanprojekte – sehr viel an | |
Dialogbereitschaft auf Fanseite zerstört.“ Er spricht von einem „Feindbild | |
Fußballfan“ bei den Gerichten und Staatsanwaltschaften. | |
Der Anstoß zur Gründung sei ein „brutaler Polizeieinsatz“ vor zehn Jahren | |
bei einem Chemie-Auswärtsspiel in Zwenkau gewesen, erzählt Grundmann, mit | |
vielen Verletzten durch übergriffige Polizeibeamte und den Einsatz von | |
Reizgas. Selbst überregional wurde damals darüber berichtet. „Aus der | |
Situation der Hilflosigkeit“ so Grundmann heute – entstand die Idee, eine | |
Institution zu gründen, „die Fans unterstützt, die Probleme mit den | |
Exekutivorganen haben“. Mit der Gründung im Oktober 2014 sollte zudem die | |
Vernetzung der Rechtsanwält:innen wie auch eine „Gegenöffentlichkeit“ | |
geschaffen werden, denn „Fans sollten kein Freiwild mehr sein für ein paar | |
durchgedrehte Bereitschaftspolizisten“. Anregungen zur Organisation holten | |
sich die Chemiker:innen von der Rot-Schwarzen Hilfe des 1. FC Nürnberg, | |
die 2007 als erste Rechtshilfe für Fans in Deutschland entstand. Heute sind | |
bundesweit von der ersten bis zur vierten Liga über zwanzig Fanhilfen unter | |
einem Dachverband organisiert. | |
Das RHK unterstützt Fans, die mit Polizei und Justiz Probleme haben – sei | |
es bei einer Vorladung oder erkennungsdienstlichen Behandlung oder vor | |
Gericht. Darüber hinaus mischt sie sich in gesellschaftspolitischen | |
Debatten rund um Fußball ein. „Wir problematisieren die ständigen | |
Gesetzesverschärfungen und die Erweiterung von Polizeibefugnissen, wir | |
kritisieren den Einsatz neuer polizeilicher Überwachungstechniken oder die | |
populistischen Äußerungen auf den Innenministerkonferenzen“, erklärt | |
Grundmann. | |
Dabei betont er die Besonderheit der sächsischen Verhältnisse. Die Polizei | |
im Freistaat agiere „immer noch etwas repressiver als im Rest des Landes. | |
Grundrechtseingriffe gehen hier stets etwas einfacher von der Hand. Es gibt | |
mehr Beamte, die kein Problem mit rassistischen Äußerungen haben. Die | |
Verbindung zwischen der Institution Polizei und autoritärem und bisweilen | |
menschenverachtendem Gedankengut ist immer noch sehr präsent“, erklärt | |
Grundmann. | |
Die Aufarbeitung der Ermittlungen wegen der angeblichen Bildung einer | |
kriminellen Vereinigung stellt in der bisherigen Arbeit des Leipziger | |
Rechtshilfekollektivs die größte Herausforderung dar. Fast 57.000 Seiten | |
Abhörprotokolle hatte das sächsische LKA über Jahre zur Ultra-Szene von | |
Chemie gesammelt. Im Visier standen auch das familiäre Umfeld, | |
Politiker:innen, Journalist:innen, Anwält:innen und Ärzte. „Bis heute | |
sind Klagen über die Rechtmäßigkeit der Überwachung gegen das LKA und die | |
beteiligte Soko anhängig“, bilanziert Grundmann. 2016 wurden die | |
Ermittlungen ergebnislos eingestellt. | |
Eine andere Baustelle, die teils willkürliche Aufnahme von Fußballanhängern | |
in die Datei „Gewalttäter Sport“, könnte bald ebenfalls der Vergangenheit | |
angehören. Das Bundesverfassungsgericht stufte deren Rechtsgrundlage | |
kürzlich als verfassungswidrig ein. | |
5 Nov 2024 | |
## AUTOREN | |
Britt Schlehahn | |
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