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# taz.de -- Ausgehen und rumstehen von Fabian Schroer: Demokratie in a Nutshell
Am Dienstag wird in den USA gewählt. Am Freitag davor stolpere ich abends
aus der Tür Richtung KM28. Menschen in Mänteln drücken sich aneinander
vorbei über den vermüllten Gehweg. Unter den Kegeln der Straßenlaternen
blicke ich in ihre gehetzten Gesichter. Während ich mich durchzwänge,
schaue ich auf die Uhr. Ich bin zu spät.
Stunden zuvor sitze ich zwischen riesigen Sudpfannen im Café Barbette auf
dem KINDL-Gelände und packe meine gerade abgeholte Büchersendung aus. Auf
dem Cover von [1][Evan Osnos' „Wildland“] über den Aufstieg Donald Trumps
und den Riss durch die amerikanische Gesellschaft posiert Jake Angeli, der
QAnon Shaman, vor dem US-Kapitol.
Nach meinem Tee gehe ich hoch ins KINDL und schaue mir die
Videoinstallation von Nina E. Schönefeld mit dem Titel „Ride or Die“ an.
„Life and democracy are more important than philosophy as such“, sagt eine
Stimme aus dem Off. Ich frage mich, ob das wirklich so stimmt. Der Film
erzählt von einem nicht näher bestimmten europäischen Land der nahen
Zukunft. Rechtspopulisten haben die Macht übernommen und einen Polizeistaat
errichtet. Medien sind gleichgeschaltet, Gesichtserkennung ist
allgegenwärtig.
Schönefeld verwendet AI-generiertes Filmmaterial, dehumanisiert menschliche
Organe, macht sie zu Instrumenten der Überwachung. Sie wählt die
naheliegende Symbolik der weißen Rose, inszeniert Rebellion als Rennen
zwischen Tod und Ekstase. In einer Welt, in der niemand vertrauenswürdig
ist, hat Widerstand immer etwas Radikales. Pseudo-journalistische Aufnahmen
gepanzerter Sicherheitskräfte wechseln sich ab mit Close-ups von stylischen
Untergrundkämpferinnen in Skimasken. „What did happen that led to the
rupture, the failure of our democratic system?“, fragt wieder die Stimme
aus dem Off.
Am Nachmittag bin ich mit meiner WG zur „Kücheninventur“ verabredet. Es
soll ausgemistet, Raum für Neues geschaffen werden. Ein langwieriger,
zermürbender Prozess, vor allem wenn drei Leute mit unterschiedlichen
Vorstellungen involviert sind.
A. hat die Schüsseln und Messbecher im Schrank nach Plastik und Metall
sortiert. Ich wende eine: „Ja, ist schön, aber es wird eh nicht so bleiben.
Sollen wir nicht einfach sagen, wir packen alles rein, wie es passt?“ A.
schaut mich durchdringend an: „Nein, damit kann ich nicht leben!“
Später am Abend werden sich A. und H. noch mittelheftig über den Biomüll
streiten. Ich sitze länger dabei als geplant, versuche erfolglos zu
schlichten, komme zu spät zu meiner Verabredung. Die Inventur bleibt
unabgeschlossen.
Als ich im KM28 ankomme, ist B. noch nicht da. Ich setze mich in eine
dämmrige Ecke des Zuschauerraumes, die meisten Stühle sind bereits mit den
Hinterköpfen von Mittvierzigern in Schiebermützen belegt. Mein Rücken lehnt
gegen die warme Wand, ich nehme einen Schluck aus dem Bier.
Ignaz Schick, der erste Performer, schwitzt im Scheinwerferlicht. Der Mann
mit Bart und schwarzem Carhartt-Shirt blickt konzentriert auf seine
Instrumente aus kleinen Motoren, Becken und Klangschalen. Alles beginnt zu
vibrieren, fügt sich langsam zu einem dröhnenden Klangteppich zusammen.
Störgeräusche poppen dazwischen, das Blaulicht eines roten Feuerwehrwagens
glitzert durch die Schaufenster des Raumes. Mich drückt es in den Sitz.
Ignaz wischt sich übers Gesicht.
Als B. und ich das KM28 verlassen und durch die Straßen streifen, sind alle
guten Bars belegt. Wir haben die Wahl zwischen Nichtraucher und zu
verraucht, entscheiden uns für die Kopfschmerzen.
Am Dienstag wird in den USA gewählt. [2][Fachleute sprechen Trump
realistische Chancen zu]. Manche befürchten, er könne nach einem Sieg die
Demokratie abschaffen. Ja, es stimmt, Demokratie ist ein hohes Gut an sich.
Aber was ist, wenn sie Ergebnisse hervorbringt, mit denen wir partout nicht
leben können? Wenigstens A. und H. haben sich am nächsten Tag wieder
vertragen.
5 Nov 2024
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## AUTOREN
Fabian Schroer
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