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# taz.de -- dvdesk: Die halbe Ewigkeit einer jungen Liebe
Bild: „Auf die Freude“ (Frankreich 2023, Regie: Jérôme Bonnell). Die DVD …
Es ist das Frühjahr 2020. Im Radio ist Premierminister Édouard Philippe zu
hören, der die geselligen Französinnen und Franzosen zur Vereinzelung
aufruft. Später, noch besorgter und noch grundsätzlicher: Macron. Der erste
Lockdown, auf der Straße machen die Menschen umeinander einen ganz großen
Bogen. In den Krankenhäusern werden die Patienten intubiert und sterben.
Véra (Amel Charif), eine Anwältin um die dreißig, die eigentlich in
Montpellier lebt, kommt nach Paris für ein Jobinterview. Das Interview
macht sie per Zoom, es ist furchtbar, der Boss der Kanzlei ist übergriffig
im Gespräch und will sie dann nicht.
Eigentlich sollte sie zurück, aber sie bleibt. Mit Mehdi, ihrem Freund in
Montpellier, läuft es nicht gut, der Aufschub des Wiedersehens kommt ihr
sehr recht. Die Professorin Hortense, eine Freundin, in deren Wohnung sie
untergekommen ist, ist an Covid erkrankt, liegt im Krankenhaus, sodass Véra
die Wohnung für sich hat. Und dann klingelt da ein Mann an der Tür, Sam
(Pablo Pauly), ein bisschen schräg, sehr lebendig und lustig,
beschäftigungslos. Die Kneipe, in der er arbeitet, ist im Lockdown. Véra
und Sam sitzen draußen auf einer Bank, Mindestabstand dazwischen, die
Polizei passt ganz genau auf. Der Abstand schwindet sehr schnell. Und so
kommt eines (Blicke, Scherze) zurück in der Wohnung zum andern: Küsse, Sex,
noch mehr Sex, den „Auf die Freude“ mit schöner Selbstverständlichkeit
zeigt.
Der Film nimmt die Coronasituation nicht wie so viele andere aus der Zeit
als Randgegebenheit hin, sondern erzählt eine Geschichte, die so unter
anderen Umständen kaum möglich wäre oder jedenfalls anders verliefe. Die
fremde Wohnung wird zum Zwangs- und Rückzugsraum, in dem die Zeit beinahe
stillsteht. Täglich wird für die Pflegekräfte geklatscht, ein Rest sozialer
Zusammenhang, von Balkon zu Balkon sichtbar nah und doch körperkontaktfrei
Welten entfernt. Und dann ziehen sich alle in ihre vier Wände zurück.
Das soziale Leben kommt zum Erliegen. Véra ist mit dem Rest der Welt, auch
ihren Klientinnen und Klienten, nur noch per Handy und per Zoom in Kontakt.
Und so werden Véra und Sam einander zu allem. Es ist, als erklärte sich die
Gesellschaft für einmal bereit, das Gefühl frischer Liebe, bei dem es
niemanden mehr als den anderen gibt, in seiner ganzen Absolutheit
zuzulassen. Nur einmal schneit die vereinsamte Schwester der
Wohnungsbesitzerin Hortense herein, Klopapier in den Händen, stört die
beiden beim Sex auf und redet und redet.
Die paar Tage, an denen „Auf die Freude“ spielt, sind die halbe Ewigkeit
einer jungen Liebe: im andern eine ganze neue Welt. Regisseur und
Drehbuchautor Jérôme Bonnell erzählt seit Jahr und Tag sehr französisch und
charmant und eher angenehm als unangenehm konventionell von der Liebe, vor
allem sein Debüt „Le chignon d’Olga“ von 2002 wird von vielen verehrt. In
die Coronasituation fügt sich der Liebesplot auf erst ganz natürliche, dann
zusehends unheimliche Weise. Es scheint alles so einfach, zu einfach. Und
dann schlägt das Realitätsprinzip gleich mehrfach zurück.
Nicht nur, aber auch in Gestalt von Covid. Ganz unwirklich wird, was
geschah, Véra schon ein Jahr später erscheinen.
Das ist nicht einfach ein Zeitsprung als Epilog. Markiert ist hier ein
geradezu existenzieller Bruch zwischen vorher und nachher. „Auf die Freude“
ist eine individuelle Geschichte über die Liebe in den Zeiten des Beginns
von Corona. Aber auch ein Film, der mit großer Intensität eine Zeit
heraufbeschwört, die kaum vergangen und doch sehr weit entfernt ist.
Ekkehard Knörer
17 Oct 2024
## AUTOREN
Ekkehard Knörer
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