# taz.de -- Interview mit taz-EDV-Ikone Ralf Klever: „Kein Mensch kannte das … | |
> Ralf Klever brachte das linke Tageszeitungsprojekt taz bereits 1995 ins | |
> Netz. Ein Gespräch über Pionierarbeit, Satelliten und die digitale | |
> Ignoranz der taz-Redaktion. | |
Bild: „Kein Mensch kannte das Web, vor allem auch nicht die Redaktion“: Ral… | |
taz: Lieber Ralf, du bist heute App-Entwickler bei uns, giltst aber auch | |
als Erfinder der digitalen taz, hast die Zeitung als erste deutsche | |
Tageszeitung ans Netz gebracht. Den ersten Bericht darüber finde ich [1][in | |
der taz vom Mai 1995 von Reiner Metzger]. Wie lief das damals? | |
Der Artikel kam eigentlich viel zu spät, darüber habe ich mich damals echt | |
geärgert. Das ganze Ding war schon Anfang des Jahres 1995 fertig und wurde | |
dort auch schon auf einer Internetkonferenz vorgeführt. Dann fand eine | |
Tagung wissenschaftlicher Dokumentare statt, die ihre Systeme vorgestellt | |
haben – und auf der Fahrt dahin hörte ich im Radio, die Schweriner | |
Volkszeitung sei die erste deutsche Tageszeitung im Internet. Da bin ich | |
beinahe ausgeflippt. | |
taz: Die taz war schon online, aber es wusste noch keiner? | |
Wir mussten unsere eigene Redaktion ganz schön beknien, dass sie darüber | |
berichten. Im Mai erschien dann dieser Artikel von Reiner Metzger. Die | |
Internetdomain taz.de, die hatten wir sogar schon ein paar Jahre zuvor. | |
taz: Aber da gab es nichts zu sehen? | |
Da war keine Webseite zu sehen, aber das Internet ist ja nicht nur Web. Das | |
war gedacht für den Austausch mit Korrespondenten. Und für Newsgroups. | |
taz: Wer ist auf die Idee gekommen, taz.de als digitale Zeitung ins Netz zu | |
bringen? | |
Die Technische Universität Berlin ist auf uns zugekommen. Schon ein paar | |
Jahre zuvor haben wir elektronisch Bibliotheken bedient, auch die TU hat | |
von uns Daten bekommen. Das war technisch aufbereitet, aber eben nicht fürs | |
Web. Der damalige TU-Dozent Stephan Frühauf hat das dann in die Wege | |
geleitet. Dirk Kuhlmann vom Prozess-Rechenzentrum (PRZ) wollte seine | |
Diplomarbeit zu dem Thema schreiben. | |
taz: Und was hattest du konkret damit zu tun? | |
Ich habe ihnen die Daten angeliefert, die in einem bestimmten Format | |
ankommen mussten. Dirk Kuhlmann hat dann einen Konverter geschrieben, der | |
unser Mark-up-Format – das der Kollege Andreas Berg entwickelt hat – in ein | |
HTML-Format verwandelt hat. | |
## „Kein Mensch kannte das Web, vor allem auch nicht die Redaktion. Das | |
merkt man den Texten aus der Zeit auch an“ | |
taz: Wie viel wusste die Redaktion davon, dass ihr das macht? | |
Mit der Geschäftsführung habe ich das abgesprochen. Reiner Metzger habe ich | |
das dann mal im Vorbeigehen erzählt. | |
taz: Wie hat er das wahrgenommen? | |
Das war ihm alles egal. | |
taz: Es war also kein Problem, dass jemand einfach alle Texte ins Netz | |
stellt? | |
Kein Mensch kannte das Web, vor allem auch nicht die Redaktion. Das merkt | |
man den Texten aus der Zeit auch an. Niklaus Hablützel war der erste | |
Redakteur, der sich überhaupt richtig um das Thema gekümmert hat. | |
taz: Wie wurde aus dem Uni-Projekt dann ein taz-eigenes Projekt? | |
Die Laufzeit bei der TU war begrenzt, ich glaube, sie durften auch keine | |
kommerziellen Projekte fahren. Dann haben wir das bei uns aufgezogen. | |
taz: Die Technik und die Server dafür waren bei der taz schon vorhanden? | |
Das hat damals kaum eine Rolle gespielt. Es gab höchstens ein paar Hundert | |
Zugriffe. Freunde von Freunden, überwiegend aus der Universität. | |
taz: Wie lang hat das gedauert, bis die taz online ging? | |
Das ging relativ schnell. Dirk Kuhlmann hat in seiner Diplomarbeit schon | |
Vorarbeit geleistet, wir dachten aber, wir können das schöner und besser. | |
Dann haben wir die Daten einfach direkt aus dem Redaktionssystem | |
verarbeitet. Das hatten wir ja auch selbst geschrieben. | |
taz: Die ersten digitalen Ausgaben waren reiner Text, Bilder waren eine zu | |
große Datenmenge. Aber der TOM war schon mit drin? | |
Natürlich. Der musste rein. Der TOM und der „Augenblick“. | |
taz: Was war das? | |
Das war ein Foto auf der Seite 2. Das haben wir mit in die digitale Ausgabe | |
reingenommen, bis wir eine Unterlassungsklage einer Fotografin aus | |
Brasilien bekamen. Das war teuer. Es musste dann sofort entfernt werden. | |
taz: Da war das Netz dann also schon weniger anarchisch als in seinen | |
Anfangstagen? | |
Die Klage kam, Jahre nachdem wir die taz schon online hatten. Zum Glück | |
hatten wir aber von Anfang an Grafiken online. Christine Engel hat dann | |
unser erstes Webdesign gemacht. Später wurde sie zusammen mit Renate | |
Jührend zur ersten Webmasterin der taz. | |
taz: Und dann konnte man die taz also auf der ganzen Welt lesen: „Auf | |
Neuseeland ist die digiTaz damit früher zu lesen als die Papiertaz im | |
Handverkauf in den Kreuzberger Kneipen“, heißt es stolz in einem Artikel | |
über den Onlinegang. | |
Ich weiß nicht mehr, ob es die TU oder die FU Berlin war, aber an der Uni | |
kannte man uns dann schon, und die wollten die taz gern lesen – auch auf | |
einer Forschungsstation am Südpol. Die hatten aber das Problem, dass sie | |
nur einmal am Tag überhaupt eine Verbindung zum Internet hatten, und zwar | |
über einen relativ tieffliegenden Satelliten. Das war nur eine kurze Zeit | |
möglich, jedenfalls nicht lang genug, um die ganze taz zu lesen. Dann haben | |
sie uns gefragt, ob wir das nicht irgendwie anders zur Verfügung stellen | |
können. | |
taz: Und was war die Idee? | |
Dann haben wir aus der gesamten taz eine Textdatei gemacht und in ein | |
Zip-File gepackt. Das ist nichts anderes, als wenn man die taz heute im | |
reinen Textformat abruft – schön schlank. So konnten sie die ganze Ausgabe | |
in kurzer Zeit herunterladen und dann offline lesen. Das hat dazu geführt, | |
dass wir später ebenfalls als eine der ersten Tageszeitungen das bezahlte | |
Digi-Abo eingeführt haben. | |
taz: Ab wann wurde das Unterfangen digiTaz kommerziell? | |
Das war relativ spät, mit Sicherheit erst in den 00er Jahren. Die Redaktion | |
hat dann festgestellt, dass die taz im Netz eine gute Werbung und das Web | |
ein interessantes Medium ist. | |
taz: Da gab es doch sicher den ein oder anderen Konflikt, wenn die | |
Redaktion dann auf einmal mitreden wollte? | |
Mit Matthias Urbach (Gründer der Online-Redaktion der taz; Anm. d. Red.) | |
gab es den großen Knall. Wir hatten bis dahin einen relativ kleinen | |
Personalaufwand, die gedruckte taz wurde weitgehend – bis auf die Grafiken | |
von Christine – vollautomatisch digitalisiert. Die Redaktion meinte dann | |
irgendwann, dass sie das Medium besser nutzen möchte und dass es eine | |
Onlineredaktion bräuchte. Dagegen war ja nichts einzuwenden. Aber Urbach | |
fand das alles blöd, was wir gemacht hatten. | |
taz: Was zum Beispiel? | |
Wir hatten kein Pixeldesign, sondern ein schönes, dynamisches Design. Das, | |
was man heute „responsiv“ nennt. | |
taz: Also ein Design, das sich der Bildschirmgröße anpasst? | |
Genau. Damals haben Handys zwar noch keine Rolle gespielt, aber es gab zig | |
verschiedene Formate und unterschiedliche Bildschirmgrößen. Urbach hatte | |
sich aber Vorschläge fürs Webdesign von Agenturen eingeholt. Die haben | |
Entwürfe mit Photoshop gemacht, ausgedruckt, und dann musste das natürlich | |
pixelgenau so platziert werden. Ab diesem Zeitpunkt war ich raus aus dem | |
Projekt. | |
taz: Und heute haben wir viel Zeit und Ressourcen investiert, um wieder ein | |
responsives Design zu haben. | |
Richtig. Das war mir allerdings von Anfang an klar, dass wir das wieder | |
brauchen werden. | |
taz: Wenn du auf das heutige Design von taz.de schaust, was empfindest du | |
da? | |
Ich schaue mir das eigentlich nie an. Das blinkt überall, und die viele | |
Werbung – das geht mir ziemlich auf den Keks. Ich lese die taz am | |
häufigsten als E-Paper oder eben in der App. 🐾 | |
17 Oct 2024 | |
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## AUTOREN | |
Konstantin Nowotny | |
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