# taz.de -- Teurer wohnen im Plattenbau | |
> Ein Immobilienunternehmen verlangt Hochhauspreise für Miniwohnungen in | |
> Lichtenberg. Die Mieter werfen dem Eigentümer Willkür vor und wehren sich | |
Bild: Das Haus in der Frankfurter Allee 216 ist mit über 450 Einzimmerwohnunge… | |
Von Christoph Mayer | |
Nur wenige Schritte vom Bahnhof Lichtenberg entfernt ragt das Q216 in den | |
abendlichen Himmel. Im Eingangsbereich des Apartmenthauses steht Kim* mit | |
seinen Nachbarn und Aktiven der Berliner Mieter*innengewerkschaft. Die | |
Gruppe bereitet sich gerade darauf vor, Haustürgespräche zu führen, um mit | |
anderen Bewohnern über die Mietsituation in dem Haus ins Gespräch zu | |
kommen. | |
Das Wohngebäude in der Frankfurter Allee 216 ist eines der größten in | |
Lichtenberg: Über 450 Einzimmerwohnungen stehen in dem 2012 sanierten | |
Plattenbau mit gefälliger Außenfassade zur Vermietung. Studierende, | |
Auszubildende und Berufstätige wohnen hier, in manchen der beengten | |
Wohnungen haben sich auch Familien niedergelassen. | |
Auch Kim wohnt hier, der Ende 20 ist. Mehr möchte er über sich nicht sagen, | |
um seine Anonymität gegenüber dem Eigentümer des Apartmenthauses zu | |
schützen. Seit knapp zwei Jahren lebt er im Q216 und gehört damit zu den | |
„Älteren“: „Die Leute kommen hierher, weil sie nichts Anderes finden“,… | |
er und fügt an: „Sobald sich eine andere Wohnung auftut, sind sie auch | |
schnell wieder weg.“ | |
Die Mieten seien zu hoch, Missstände würden nicht behoben und die | |
Hausverwaltung ignoriere die Probleme der Mieter, fasst er die Situation im | |
Q216 zusammen. Nebenbei rollt er ein Banner zusammen, das er bei den vielen | |
Aktionen in den letzten Wochen mit sich trägt. „Runter mit der Miete“ steht | |
darauf – die zentrale Forderung der Hausgemeinschaft. | |
Laut einem Imagevideo auf der Webseite des Q216 empfinden nicht alle | |
Bewohner ihre Mietsituation als problematisch: Drei junge Mieter zeigen | |
sich in dem Clip begeistert über die Möglichkeiten, die ihnen das Leben im | |
Q216 biete: ein Shopping-Center, Sportstudios, ein Waschsalon, eine | |
Tankstelle – alles, was man brauche, sei in unmittelbarer Nähe, sagt eine. | |
Ein anderer resümiert, das Q216 sei eine gute Lösung, wenn man zu | |
„erschwinglichen Preisen relativ zentral wohnen“ wolle. Es sei „ganz, ganz | |
selten in Berlin“, bemerkt die dritte, dass man „aus einem Hochhaus so | |
einen tollen Ausblick“ habe. | |
Ein Blick in die Mietparzellen des Gebäudes legt indes Abgründe offen. | |
Bewohner berichten von überhöhten Mieten, Ungezieferbefall, Einbrüchen. Die | |
Kritik an den Wohn- und Mietbedingungen mehren sich seit Monaten. | |
Seit 2012 wird das Objekt in der Frankfurter Allee 216 als Apartmenthaus | |
genutzt. Der elfstöckige Plattenbau entstand 1979 und diente in der DDR als | |
Verwaltungsgebäude der Deutschen Reichsbahn. Nach der Wiedervereinigung | |
stand das Gebäude zunächst leer, ehe es nach über 20 Jahren in Wohnraum | |
umgewandelt wurde. | |
Es liegt in einer Gegend, in der sich zu Beginn der 1990er Jahre eine | |
neonazistische Szene formiert hatte, die jahrelang das Image von | |
Lichtenberg prägte. Rechte Schlägertrupps rund um den Bahnhof machten Jagd | |
auf migrantische und linke Menschen. Sie richteten Szenekneipen ein, aus | |
denen heraus sie agierten. Neben dem antifaschistischen Widerstand und | |
polizeilichen Räumungen von Treffpunkten trug letztlich auch die | |
Gentrifizierung des ehemaligen Arbeiterviertels dazu bei, die Neonazis zu | |
verdrängen. | |
Probleme in der Gegend sind indes geblieben, auch wenn es heute andere | |
sind. Statt Gewaltexzessen prägen nun Mietentgleisungen das Geschehen. So | |
auch im Q216, das der Ulrich & Lakomski Real Estate GmbH & Co. KG gehört. | |
Die Eigentümergesellschaft hat mehr als ein halbes Dutzend ehemalige | |
Gewerbe-, Fabrik- und Bürogebäude im Osten von Berlin erworben und in ihr | |
wachsendes Wohnraumportfolio integriert. | |
Für Kim ist klar, dass die Gesellschaft auf Kosten der Mieter ihren Profit | |
steigert. Er sagt, die Geschäftsführer hätten für die Bewohner bislang nur | |
leere Versprechen übrig gehabt. Ein Verhandlungstermin im Sommer habe zwar | |
zu Vereinbarungen geführt, um die Wohnsituation der Mieter zu verbessern. | |
Doch passiert sei bisher wenig, und an den entscheidenden Stellen gehen die | |
Auffassungen weit auseinander. | |
Dazu gehört die Absenkung der Miete auf die ortsübliche Vergleichsmiete: | |
„Momentan berappen die Bewohner deutlich mehr, [1][als es der Mietspiegel | |
erlaubt]“, sagt Kim. Dieser liegt in Lichtenberg aktuell bei knapp über 8 | |
Euro Kaltmiete. Die Bewohner zahlten mit rund 15 Euro pro Quadratmeter fast | |
das Doppelte, rechnet er vor: „Wir haben die Vermieter aufgefordert, das zu | |
ändern.“ | |
Doch die hätten stattdessen auf Eskalation gesetzt. So seien gegenüber den | |
Aktiven der Mieter*innengewerkschaft und einzelnen Bewohnern | |
Hausverbote ausgesprochen worden, nachdem sie ein Picknick auf dem | |
Grundstück organisierten. Die Kommunikation der Immobiliengesellschaft | |
finde mittlerweile über eine Anwaltsfirma statt, merkt der junge Mieter an. | |
Auf eine Anfrage der taz zu den Darstellungen der Bewohner wollte sich die | |
Ulrich & Lakomski Real Estate GmbH & Co. KG nicht äußern. | |
Kim lehnt an der Badezimmertür in einer Wohnung des Q216 und hält ein | |
Lasermessgerät in der Hand. Neben ihm stehen Lino und Aaron, die sich bei | |
der Berliner Mieter*innengewerkschaft engagieren. Gemeinsam mit | |
weiteren Aktiven des Hauses klingeln sie heute erneut bei einigen der 461 | |
Wohnungen und bieten den Mietern an, ihre eigenen vier Wände gemeinsam | |
auszumessen. | |
„Bei den Verhandlungen im Sommer wurde mit den Vermietern eine | |
Neuberechnung der Nebenkosten vereinbart“, erläutert Lino. „Den aktuellen | |
Kosten liegen falsche Wohnflächenmaße zugrunde, weshalb sie abgesenkt | |
werden müssen“, insistiert der Gewerkschafter. | |
Auf der Webseite des Q216 bewirbt die Hausverwaltung zwei Wohntypen: Die | |
kleinere Wohnung mit 25 Quadratmetern wird für 524 Euro Warmmiete | |
angeboten, was einem Preis von 21 Euro pro Quadratmeter entspricht. Wer | |
sich eine 35 Quadratmeter große Wohnung mietet, erhält den warmen | |
Quadratmeter zum Rabattpreis von knapp 20 Euro und zahlt damit 695 Euro, | |
einschließlich Betriebs- und Heizkosten. | |
Die oberen drei Stockwerke hat die Aktivengruppe des Q216 bereits | |
geschafft. Lino zieht eine Zwischenbilanz: Die Wohnungen seien deutlich | |
kleiner als in den Inseraten und in den Mietverträgen angegeben – im | |
Schnitt um zehn Prozent, sagt er. Louisa*, die im neunten Stock wohnt, | |
wirft ein, in ihrer Wohnung habe man eine Abweichung von 15 Prozent nach | |
unten gemessen. Statt der im Vertrag angegebenen 35 habe sie nur 30 | |
Quadratmeter Wohnfläche zur Verfügung. Für die Aktiven im Q216 ist nach der | |
Begehung von drei Stockwerken klar, dass die Vermieter die tatsächlichen | |
Wohnungsgrößen systematisch verschleiern: „Es sieht so aus, als würde die | |
Eigentümergesellschaft bei der Größe der Wohnungen flächendeckend | |
schwindeln“, sagt Aaron (34), der für die Mieter*innengewerkschaft | |
derzeit mehrere Hauskämpfe in Berlin führt. Der Eigentümer habe die | |
Baupläne und sollte die tatsächlichen Wohnungsgrößen eigentlich kennen, | |
fügt er hinzu. Aufgrund der falschen Berechnung zahlten fast 500 | |
Mietparteien jeden Monat den Extraprofit des Eigentümers. | |
Für ihn steht fest: Die Mieter können ihre Miete günstiger veranschlagen – | |
und sogar zurückfordern. Die Berliner Mieter*innengewerkschaft | |
übernimmt die Forderungsstellung für ihre Mitglieder. Als unabhängige | |
Organisation müsse sie, anders als die Bewohner, keine Konsequenzen durch | |
den Vermieter befürchten. Vorerst wolle man mit diesem einvernehmlich nach | |
einer Lösung suchen, sagt Aaron. Doch die Geduld der Aktiven sei begrenzt, | |
sagt er selbstbewusst. | |
Die überteuerten Mieten seien indes nur eines der Probleme, mit denen sich | |
die Mieter im Q216 auseinandersetzen müssten, bemerkt Mieterin Louisa. Sie | |
wohnt im 9. Stock des Hochhauses. Der Lärm der Frankfurter Allee dringt in | |
ihr Zimmer – in einem der Fenster zieht sich ein Riss vom Fensterrahmen | |
nach oben. Louisa sagt, seit Jahren werde im Haus regelmäßig eingebrochen, | |
Schäden würden nicht behoben, unliebsame Mitbewohner wie Kakerlaken würden | |
geduldet statt bekämpft. Die Mietaktiven haben die Beschwerden der Bewohner | |
zusammengetragen. Mehr als 40 Mängelanzeigen lägen der Hausverwaltung seit | |
zwei Monaten vor, sagt Louisa: Wasserschäden, kaputte Fenster, | |
Rohrverstopfungen und defekte Backöfen seien nur einige der Missstände. | |
Doch die Hausverwaltung würde die Beschwerden ignorieren, kritisiert sie. | |
Sie habe sich sofort angeschlossen, als sich die Mieter mit Unterstützung | |
der Berliner Mieter*innengewerkschaft zu organisieren begannen. Sie | |
gibt sich zuversichtlich: „Nach Jahren des Stillstands gibt es jetzt eine | |
Chance, Veränderungen anzustoßen.“ | |
Davon ist auch Gewerkschafter Lino überzeugt. Das Repertoire an | |
Möglichkeiten, sich zu wehren, sei noch nicht ausgeschöpft: „Wenn die | |
Vermieterseite auf die Forderungen der Mieter weiterhin nicht eingeht, | |
planen wir weitere Schritte“. Man werde den Druck erhöhen. Auch ein | |
Mietstreik sei denkbar*Name geändert | |
21 Oct 2024 | |
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## AUTOREN | |
Christoph Mayer | |
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