| # taz.de -- Journalismus im Internet: Wer hat's erfunden? | |
| > Die taz war nicht nur die erste deutsche Tageszeitung im Internet, sie | |
| > hatte auch schon eine „community”, bevor es das Wort „crowdfunding” g… | |
| Bild: Pionierarbeit: Ralf Klever und Stefan Affentranger kämpfen im Jahr 1989 … | |
| Aus der taz | Die Ur-und Frühgeschichte der elektronischen Ausgabe der taz | |
| begann zwar erst vor 20 Jahren, doch die offizielle Ankündigung der ersten | |
| digitalen Ausgabe in der Zeitung vom 12. Mai 1995 klingt heute schon ein | |
| wenig nach Steinzeit. „Als erste überregionale Tageszeitung kann man die | |
| taz im weltweiten Computerverbund Internet lesen.” | |
| Die Erklärung als „weltweiter Computerverbund” war damals notwendig, denn | |
| „Internet” war noch kein Begriff – ebensowenig wie „World Wide Web” o… | |
| „Hypertext” oder „Link”, die Reiner Metzger (später in der | |
| taz-Chefredaktion, heute für das Ressort „Sachkunde” zuständig) den | |
| taz-LeserInnen erklärte: „Einfach die etwas längliche Adresse „http:// | |
| www.prz.tu-berlin.de/ ~taz” in die Tastatur hacken, dann sucht sich der | |
| Rechner seinen Weg auf die Menüseite der digitalen taz.” | |
| ## Die erste deutsche Tageszeitung im Netz | |
| Die längliche Adresse verwies auf das Prozeßrechenzentrum (PRZ) der | |
| Technischen Universität Berlin, von deren Server die erste „digitaz” | |
| ausgeliefert wurde. Zusammen mit Ralf Klever von der taz hatten die | |
| EDV-Spezialisten des PRZ acht Wochen an der Software geschrieben, um das | |
| Pionierprojekt – die erste deutsche Tageszeitung im Internet – zu | |
| realisieren. | |
| Möglich war das nur, weil viele Beteiligte in bester Hackermanier kostenlos | |
| arbeiteten und die damals noch sündhaft teure Hardware im Rahmen eines | |
| Forschungsprojekts von einer Telekom-Tochter gesponsort wurde. | |
| Im Januar 1995 ging der erste Prototyp online, im Februar stellte Dirk | |
| Kuhlmann vom PRZ das Projekt auf einem Internetkongress in Darmstadt vor. | |
| Obwohl diese erste Phase noch weitgehend unter dem öffentlichen Radar lief, | |
| verzeichnete die digitaz einen sprunghaften Anstieg der Nutzerzahlen: Am 1. | |
| April 1995 waren es 16, Anfang Mai schon über 1.000. Und als die | |
| Papierzeitung den Webauftritt im Mai offiziell verkündete, waren es bereits | |
| 3.720. | |
| Bei der Befragung der ersten NutzerInnen erfuhr die taz, was auf den | |
| Leserbriefseiten eher Seltenheitswert hat: Begeisterung und Zustimmung. | |
| „Endlich kann ich während der Arbeit die taz lesen – jederzeit wegklickbar! | |
| Umsonst! Wahnsinn!” | |
| ## Von Anfang an zugänglich für alle | |
| Die Inhalte der Zeitung im Netz verfügbar zu machen, komplett und | |
| kostenlos, war die Philosophie der „digitaz” von Anfang an – und weil sie | |
| die erste Zeitung zum Nulltarif im Internet war, trägt auch die taz ein | |
| Stück Verantwortung für das, was 20 Jahre später im Zuge der grassierenden | |
| „Zeitungskrise” als die „Gratismentalität” des Internets beklagt wird. | |
| Schon bei der Befragung der ersten UserInnen 1995 wurde einerseits | |
| gefordert, dass das Internet so weit wie möglich „frei von Kommerz” bleiben | |
| und die Inhalte der taz auch für „StudentInnen mit leeren Portemonnaie” | |
| zuänglich sein müßten. | |
| Andererseits erklärten sich aber auch 55% der Befragten bereit, für ein | |
| digitaz-Abo zu bezahlen – dass Journalismus Geld kostet und nicht auf Dauer | |
| „für lau” zu haben ist, war also auch schon damals einer Mehrheit klar. | |
| Die taz fuhr in der Folge erfolgreich zweigleisig: Einerseits wurde bald | |
| tatsächlich ein digitaz-Abonnement eingeführt, andererseits wurde die | |
| Zeitung am Abend vor jedem Erscheinungstag ins Netz gestellt – ohne Fotos, | |
| aber mit sämtlichen Artikeln und ohne dass eine Redaktion noch Hand anlegen | |
| mußte. | |
| Diese von den IT-Zauberern der taz umgesetze Automatik, mit der die | |
| digitalen Vorlagen für die Druckerei in Web-Artikel verwandelt und online | |
| gestellt wurden, ermöglichte es dann für mehr als zehn Jahre, taz.de ohne | |
| redaktionellen Personalaufwand zu betreiben. | |
| Die Seitenaufrufe der „digitaz” stiegen innerhalb dieser ersten zehn Jahre | |
| auf 6 Millionen im Mai 2005. Unterdessen ermöglichten es (auch digital | |
| beworbene) Abos, die Inhalte kostenlos und für alle ins Netz zu stellen. | |
| ## „Die erste Freiheit der Presse ist es, kein Gewerbe zu sein” | |
| Warum aber für etwas bezahlen, das man auch gratis im Netz findet? Die | |
| Antwort ist einfach: Solidarität. Nur wenn viele etwas geben, können sich | |
| alle informieren. Dieses Prinzip hat schon Ende 1979 dafür gesorgt, dass | |
| die erste gedruckte taz überhaupt erscheinen konnte: 7000 Menschen hatten | |
| ein Jahresabo im Voraus bezahlt. | |
| Die taz hatte insofern als unabhängige linke Zeitung schon eine community, | |
| bevor das Wort crowdfunding erfunden wurde. Sie finanzierte sich von Beginn | |
| an weniger mit gewerblichen, als mit solidarischen Methoden und konnte nur | |
| so seit 35 Jahren auf einem kapitalistischen Zeitungsmarkt bestehen. | |
| Über 14.500 Mitglieder der taz-Genossenschaft sichern die journalistische | |
| Unabhängigkeit der Zeitung. Zusammen mit 50.000 Abonnentinnen der | |
| Druckausgabe und 5000 BezieherInnen des ePapers bilden sie einen | |
| UnterstützerInnenkreis, der nicht nur das tägliche Erscheinen, sondern auch | |
| die Arbeit der Onlineredaktion gewährleistet. | |
| Seit die Onlineredaktion 2007 eingerichtet wurde, sind die Inhalte der taz | |
| nicht mehr allein in einer Textversion online, sondern auf einer großen | |
| Website redaktionell aufbereitet und erweitert lesbar. | |
| ## Freier Wille und solidarisches Handeln im Netz | |
| Dieser zusätzliche Service wurde sehr gut angenommen; 20 Jahre nach dem | |
| ersten Probelauf wurden die Seiten von taz.de im Januar 2015 über 15 | |
| Millionen mal aufgerufen, davon waren 1.6 Millionen sogenannte „unique | |
| users” (Arbeitsgemeinschaft Onlineforschung Agof Dez. 2014). | |
| „Die erste Freiheit der Presse ist es, kein Gewerbe zu sein” – wenn eine | |
| Maxime von Karl Marx zustimmend im wirtschaftsliberalen „Handelsblatt” | |
| zitiert wird, muß etwas Ernsthaftes passiert sein – und dieser Ernstfall | |
| ist eingetreten: das „Zeitungssterben”. | |
| Es geht einher mit dem Aufstieg des Internets und dem geplatzten Traum, die | |
| journalistische Präsenz im Netz allein mit Werbebannern finanzieren zu | |
| können. Auch die taz hat dieses Kunststück nicht vollbringen können und | |
| nach anderen Lösungen gesucht. | |
| Eine „Paywall”, die sofort oder nach einigen Artikeln für die weitere | |
| Lektüre zur Kasse bittet, kam aus guter alter Tradition nicht in Frage. | |
| Eine „Paywahl” hingegen – die Aufforderung an die NutzerInnen von taz.de, | |
| freiwillig etwas zu bezahlen aber sehr wohl. | |
| ## Kostenloser Journalismus hat seinen Preis | |
| Seitdem „belästigt” die taz die UserInnen ihrer Website mit einer | |
| Einblendung, die auf taz.zahl ich verweist – auf die Argumente, warum | |
| unabhängiger Journalismus der Unterstützung bedarf und taz.de für alle nur | |
| kostenlos bleiben kann, wenn eine solche Unterstützung auch erfolgt. | |
| Da hinter der taz noch klügere Köpfe stecken als hinter der FAZ – zumindest | |
| haben sie laut Media-Analyse häufiger höhere Schulabschlüsse – stieß dies… | |
| Appell und die im April 2011 gestartete taz.zahl ich-Kampagne nicht nur auf | |
| offene Ohren, sondern auch auf offene Geldbörsen. | |
| Die LeserInnen hatten verstanden: Kostenloser Journalismus hat seinen | |
| Preis. Über 125.000 Euro wurden im Jahr 2014 an taz.de überwiesen. Zusammen | |
| mit den Einnahmen über Online-Anzeigen (siehe Grafik) ist damit zwar nur | |
| knapp die Hälfte der Gesamtkosten für taz.de gedeckt. | |
| Aber der Erfolg zeigt, dass die taz mit ihrer Kampagne auf dem richtigen | |
| Wege ist. Es lohnt sich, dieser Philosophie weiter treu zu bleiben und es | |
| gibt gute Argumente, die immer mehr NutzerInnen zu überzeugen, für taz.de | |
| freiwillig zu bezahlen. | |
| MATHIAS BRÖCKERS war von 1980-1991 taz-Kulturredakteur und beriet die taz | |
| später einige Jahre in digitalen Fragen. | |
| 🐾 Dieser Text erschien zuerst im März 2015 in der taz und auf taz.de. | |
| 12 Sep 2024 | |
| ## AUTOREN | |
| Mathias Bröckers | |
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