# taz.de -- Wo die Tonspuren nachklingen | |
> Die dritte Ausgabe des Festivals Archival Assembly #3 im Silent Green | |
> widmet sich der Bedeutung von Ton und Sprache in den sehr reichhaltigen | |
> Archiven der Kinogeschichte | |
Bild: Ein aktueller Beitrag zu Archival Assembly ist der Film „Resonance Spir… | |
Von Silvia Hallensleben | |
Ein Umzug ist meist Gelegenheit zum Ausmisten. Mit etwas Glück können dabei | |
auch vergessene Schätze auftauchen. Das Kino Arsenal wird nach 25 | |
Mietjahren im Sony Center Anfang nächsten Jahres in ein eigenes Haus in | |
Wedding umziehen. Das Einpacken brachte hier neben Altlasten auch ein | |
Konvolut bespielter Magnettonbänder und Audiokassetten zum Vorschein. Oder | |
mit handschriftlichen Anmerkungen versehene „Textlisten“ vorgeführter Filme | |
zum Live-Einsprechen deutscher Übersetzungen aus der kleinen Kabine hinten | |
im Saal des ganz alten ersten Arsenal in der Welserstraße. | |
Die analogen Bänder bewahrten unter anderem Mitschnitte der | |
Publikumsgespräche, die nach den Premieren des Berlinale-Forums im Delphi | |
seit Gründung 1971 nicht nur – wie recht bekannt – nach strengem Ritual | |
geführt, sondern auch mitgeschnitten worden waren. Während der erzwungenen | |
Corona-Schließungen (es gab doch Gutes am Virus!) wurden diese Bestände | |
dann von den Projektionisten des Arsenal digitalisiert und können nun am | |
Dienstag in einem zweistündigen Zusammenschnitt in der sogenannten „migas | |
listening bar“ in der Lindower Straße abgehört werden: Nach einem halben | |
Jahrhundert gewaltiger sozialer Umbrüche eine spannende Quelle zur | |
Geschichte der oralen Filmkultur und der oft streitbaren Diskurse dort. | |
„The Delphi Table 1971 – 1989“ ist ein Mosaiksteinchen der diesjährigen | |
„Archival Assembly“, deren dritter Durchgang wegen des Arsenal-Umzugs ein | |
Jahr vorgezogen wurde und sich schwerpunktmäßig der Bedeutung von Ton und | |
Sprache in den Archiven der Kinogeschichte widmet. „Das von Stefanie | |
Schulte Strathaus kuratierte Programm will damit die Dominanz des Bildes in | |
der Beschäftigung mit dem Medium Film hinterfragen, die auch die | |
Auseinandersetzung mit dem Filmerbe prägt“, heißt es in der Ankündigung der | |
fünf Tage mit fünf Spielorten und unterschiedlichsten Präsentationsformen | |
von der Ausstellung (etwa der oben genannten Textlisten) über | |
Präsentationen bis zur Livemusik. | |
Im Zentrum steht dabei ein Symposium des Masterstudiengangs „Filmkultur: | |
Archivierung, Programmierung, Präsentation“ der Uni Frankfurt mit Vinzenz | |
Hediger im Kuppelsaal des Silent Green. „Resounding Archives: The Politics | |
of Listening to the Moving Image“ widmet sich in zehn Panels aus | |
unterschiedlichen Perspektiven der Frage, wie das „Nachklingen der Archive“ | |
Mediengeschichte und künstlerische Praxis beeinflusst: Auch eine gute | |
Möglichkeit zum Besuch der neuen Räume des Arsenal, dessen Kinosaal – nach | |
entsprechenden Bauarbeiten und wohl mindestens einem Jahr Pause – | |
hoffentlich ab 2026 dort auferstehen wird. | |
Die Büros in der Gerichtstraße nebenan sind aber schon bezogen und | |
Heimstatt für mehrere Installationen und den sogenannten Reading Room. Fast | |
direkter Nachbar in der hoffentlich entstehenden Kulturnachbarschaft | |
Wedding ist auch das seit Januar 2023 dort angesiedelte Kinoprojekt Sinema | |
Transtopia, das als Kooperationspartner der „Archival Assembly“ in der | |
Reihe Found Futures unter anderem exilierte Filmarchive aus Kabul und dem | |
Sudan vorstellt. Doch auch Filme selbst gibt es (im Arsenal 1 am Potsdamer | |
Platz), auch hier spielen Übersetzungen und Asynchronitäten eine Rolle. | |
Etwa wenn nur der Ton eines Films überlebt hat, wie bei dem indischen | |
Spielfilm „Badnam Basti“ (1971, Regie: Prem Kapoor), der vermutlich auch | |
wegen männlicher Homosexualität auf der Leinwand von der indischen | |
Schnittbehörde von 132 auf 83 Minuten gekürzt wurde. Eine 35-mm-Kopie | |
dieser Fassung liegt im Filmarchiv des Arsenal, während im National Film | |
Archive of India Bild- und Tonfragmente eines Negativs auch mit zensierten | |
Stellen zu finden sind. Vorgeführt im Arsenal wird nun eine digitale 122 | |
Minuten lange Restaurierung des Films inklusive einer nur als Tonnegativ | |
erhaltenen Sequenz. | |
Ein besonderer Fall „stummen“ Kinos sind Filmtraditionen, die (ähnlich dem | |
bei uns bekannteren japanischen Benshi) auf orale Synchronbegleitung | |
zurückgreifen. Beispiel einer solchen thailändischen Praxis hier ist die | |
Legendenverfilmung „The Ghost of Mae Nak“ aus dem Jahr 1959: Die populäre | |
Produktion wurde – wie viele andere für den heimischen Markt – aus | |
ökonomischen Gründen auf 16-mm-Film (also stumm) gedreht und dann bei der | |
Vorführung (so auch am Samstag im Arsenal) simultan eingesprochen. | |
Eine ähnliche Praxis aus dem zeitgenössischen Uganda präsentiert die | |
Vorführung von „Blood Diamond“ (2006, Regie: Edward Zwick), einem | |
Actionthriller um den blutigen Diamantenhandel in Sierra Leone, der zwar | |
mit Ton in Englisch und Afrikaans gedreht wurde, am Mittwoch im Kino aber | |
parallel zu diesem Soundtrack von dem professionellen ugandischen | |
Filmerzähler VJ Junior live (!) begleitet werden wird. | |
Vom 17. bis 22. 9., verschiedene Spielorte, Ausstellung bis 29. 9. | |
17 Sep 2024 | |
## AUTOREN | |
Silvia Hallensleben | |
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