# taz.de -- Klimakrise und Ressourcen: Viva Las Vegas? | |
> In der Wüste von Nevada badet Arno Frank im Licht von 5,6 Millionen | |
> LED-Leuchten. Dann holt ihn das schlechte Gewissen ein. | |
Bild: The Sphere: Eine zweite Sonne für die Wüstenstadt Las Vegas | |
[1][taz FUTURZWEI] | Neulich musste ich beruflich nach Las Vegas, um dort | |
ein Interview zu führen. Wäre das nicht auch telefonisch gegangen? Oder per | |
Zoom? Schon, ja, doch. Manchmal ist es aber geboten, sogenannte „Eindrücke“ | |
zu sammeln, von denen ich meinen Leserinnen und Lesern dann berichten kann. | |
In diesem speziellen Fall wäre mir allerhand entgangen, was ich eben nur | |
vor Ort beobachten konnte. | |
Der Flug von Frankfurt nach Florida dauerte zehn Stunden, und auf dem | |
ohnehin engen Sitzplatz hockte mir mein schlechtes Gewissen auf den Knien. | |
Mein Flug, das hatte ich zuvor recherchiert, produzierte vier Tonnen (!) | |
Kohlendioxid. Ein Mensch im armen Äthiopien, der eher selten fliegt und | |
auch sonst kaum Gelegenheit hat, kostbare Ressourcen zu verschwenden, | |
verbraucht im Schnitt jährlich nur knapp 600 Kilogramm des giftigen Gases. | |
Anstatt von Frankfurt nach Las Vegas zu fliegen, hätte ich auch zwei Jahre | |
und etwa 24.000 Kilometer mit einem Mittelklassewagen meiner Wahl durch die | |
Gegend gondeln können. Das klimaverträgliche Jahresbudget eines Menschen | |
habe ich damit um mehr als das Doppelte überzogen. Nicht gut, so jedenfalls | |
mein „Eindruck“. | |
## Ablasshandel beim Abflug | |
Glücklicherweise ging, kaum hatte die Boeing 777 ihre Reiseflughöhe | |
verlassen, ein Dominikanermönch namens Johann Tetzel durch den Gang und | |
verkaufte seine Ablasszettel – kleiner Scherz. In Wahrheit war es eine | |
übernächtigte Stewardess, die den Passagieren das Angebot unterbreitete, | |
die von ihnen emittierten Emissionen noch in der Luft zu kompensieren. Was | |
eine gute Sache ist, mit Ablasshandel rein gar nichts zu tun hat und | |
inzwischen zum Service gehört. 130 Dollar, und die Sache ist erledigt. | |
Keine Ahnung, wie das funktioniert. Mein Gewissen jedenfalls, ich spürte es | |
an meinen Knien, war nach der Zahlung (Kreditkarte genügt!) spürbar | |
erleichtert. | |
Beim Anflug auf Las Vegas „staunte“ ich dann „nicht schlecht“. Zwar ist… | |
Formulierung, jemand „staune nicht schlecht“, der Phrasenhölle entsprungen. | |
Aber treffender kann ich das Gefühl nicht ausdrücken, das mich beim Anblick | |
von „The Sphere“ übermannte. Das ist, wenn man so will, die Mutter aller | |
Mehrzweckhallen. 112 Meter hoch, kugelförmig und innen wie außen und Tag | |
und Nacht komplett „bespielbar“ mit LED-Leuchten. | |
## Weltwunder des Kapitalismus | |
Innen kann man sich deshalb U2 angucken, wie sie in irgendeiner Wüste | |
musizieren oder dort, wo die Straßen keine Namen haben. Außen kann die | |
Kuppel ebenfalls alles sein, was auf ihre Oberfläche aus Millionen | |
gebündelter LED-Leuchten programmiert wird – der Mars, der Mond, Werbung | |
für Limonade oder, wie bei meinem Anflug, ein gelbes Emoji, das mir über | |
Kilometer hinweg heiter zuzwinkerte. Eine Stadt, die ganz dem Gott der | |
Unterhaltung huldigt, hat ihm mit „The Sphere“ einen neuen Tempel gebaut. | |
Die LED-Leuchten funktionieren wie Pixel, das Ding ist also gewissermaßen | |
ein virtuelles Bauwerk, eigentlich eine Ausstülpung des Internets in der | |
Realität. So wie ich muss sich gefühlt haben, wer vor 2.000 Jahren eines | |
der „Weltwunder“ ansichtig wurde. Ich staunte also nicht schlecht und | |
später regelrecht Bauklötze, als mir der Taxifahrer von den Baukosten | |
berichtete. „The Sphere“ hat nur zwei Milliarden Dollar gekostet – also | |
exakt die Summe, die die Deutsche Bahn 2023 an Verlust gemacht hat. Ein | |
Klacks. Der reichste Mann der Welt, Bernard Arnault, könnte sich 100 dieser | |
Spielzeuge leisten. | |
## Schlechtes Gewissen | |
Zwar verschlingt das Monstrum monatlich rund 500.000 Euro an Stromkosten. | |
Die werden aber zu 70 Prozent aus Solarstrom erzeugt, der in der | |
wolkenlosen Wüste von Nevada quasi auf den Bäumen wächst, die es hier nicht | |
gibt. Überdies ist die Rechnung ruckzuck bezahlt. Wer „The Sphere“ für | |
einen Tag als Werbefläche mieten will, zahlt ebenfalls knapp 500.000 Euro. | |
Wir haben es also, Solarstrom hin oder her, mit einem Monument der | |
Energieverschwendung zu tun. Und mit einem Wunder des Kapitalismus, weil | |
der ganze Spaß in nur zehn Jahren profitabel sein könnte. | |
So geht Zukunft, so geht Wachstum, so geht Vision. Sowas, dachte ich vor | |
Ort, lernt man nur vor Ort. Einfach mal „out of the box“ das Undenkbare | |
denken, ganz unvoreingenommen – und dann machen! Und wie ich da stand, | |
gebadet vom Licht aus 5,6 Millionen LED-Leuchten, tippte mir unversehens | |
mein schlechtes Gewissen auf die Schulter. Es erinnerte mich daran, dass | |
ich aller Wahrscheinlichkeit nach vergessen hatte, zu Hause in Wiesbaden | |
das Licht im Flur auszumachen. | |
■ Dieser Beitrag ist [2][in unserem Magazin taz FUTURZWEI] erschienen. | |
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20 Aug 2024 | |
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## AUTOREN | |
Arno Frank | |
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