# taz.de -- tazđŸthema: Jazz is not Jazz | |
> Jazz ist bestenfalls ein Ort der Freiheit â bei Festivals wird heute | |
> allerdings oft Popmusik als Jazz verkauft. Doch wo sind die authentischen | |
> Orte des Jazz? Welche sind die Festivals und Labels, die Jazz abseits des | |
> Mainstreams spielen? | |
Von Katrin Wilke | |
Um die âTicks des Jazzersâ dreht sich ein gleichnamiges, knapp zwei Minuten | |
kurzes, launiges Liedchen von Kevin Johansen. Der Argentinier ist auch im | |
Heimatland des Jazz geboren und hat diverse musikalische Gefilde | |
durchwandert, er ist aber mehr Singer/Songwriter als im Jazz zu Hause. | |
Immerhin war an diesem Track von 2012 auch ein Jazzer beteiligt: Enrique | |
Roizner âEl Zurdoâ aus Buenos Aires, der im Januar 84-jĂ€hrig verstarb. Der | |
bis zuletzt aktive Schlagzeuger spielte in den 1970ern und 80ern mit | |
Landsleuten wie Gato Barbieri oder Astor Piazzolla, die aus | |
unterschiedlichen Richtungen dem Jazz zu Leibe rĂŒckten und ihn | |
revolutionierten. Als die zwei beim damals noch jungen Montreux Jazz | |
Festival auftraten, war dort am Genfersee schon das zu bemerken, was | |
offenherzige Fans ohne âJazz-Polizeiâ-AllĂŒren zunehmend reklamieren: dass | |
etliche weltweit renommierte Festivals zu Unrecht das Etikett âJazzâ fĂŒr | |
sich vereinnahmen. | |
Der sich stets erweiternde Jazz-Kosmos sprengt mit seinen unzÀhligen | |
Erscheinungsformen und Spielweisen ja ohnehin schon alle | |
Einordungsversuche und damit auch Festivalformate. Trotzdem versuchen | |
Jazz-Veranstalter zunehmend mit Popstars als Headliner ihre Hallen und Open | |
Airs zu fĂŒllen. | |
## Festivals & Clubs | |
Doch gibt es noch genĂŒgend Jazzfestivals, die nicht absichtlich ihr Thema | |
verfehlen: âSparks & Visionsâ in Regensburg, das im Januar zum zweiten Mal | |
ĂŒber die dortige TheaterbĂŒhne ging, wird geschmackssicher und mit einem | |
gewissen Wagemut kuratiert und geleitet von Anastasia Wolkenstein. | |
Die jazz-gewiefte, als Konzertagentin mit genug Erfahrung ausgestattete | |
Wahl-Regensburgerin ĂŒbernahm mittlerweile auch die kĂŒnstlerische Leitung | |
vom durchaus artverwandten, auch zuvor von einer Frau gestalteten | |
Salzburger âJazz & the Cityâ. Die beiden Regensburg-Editionen zelebrierten | |
den Jazz mit seinen global- und kammermusikalischen Neigungen und | |
AusprĂ€gungen, dabei deutlich Platz fĂŒr die weiblichen KreativkrĂ€fte, fĂŒr | |
ein entsprechend neugieriges, offenbar nicht nur auf Vertrautes | |
vertrauendes Publikum. | |
WÀhrend man in Bayern auf eine geradezu luxuriöse und gut funktionierende | |
SpielstÀtte (bald wohl auch als Staatstheater) setzen kann, ziehen anderswo | |
Jazzveranstalter als obdachlose Nomaden durch mal mehr, mal weniger | |
blĂŒhende Landschaften. Der Berliner âJazzkeller 69â, der Geburtsjahr und | |
-ort im Namen trÀgt, reprÀsentiert mit seiner vielgestaltigen und | |
abenteuer- teils gar schildbĂŒrgerlichen Vita ein gehöriges StĂŒck DDR- und | |
Wendeerfahrung. | |
UrsprĂŒnglicher Dreh- und Angelpunkt war der Keller einer alten, letztlich | |
wie die DDR selber runtergewirtschafteten Treptower Villa, die auch Sitz | |
eines offiziellen Kulturhauses war. Dort begannen Musikschaffende und | |
veranstaltungsfreudige GaststĂ€ttenangestellte Konzerte â âJazz zum Hören | |
und zum Tanzenâ â zu organisieren. 1975 war laut dem heutigen Vereinschef | |
und seit 1984 Konzertplaner Wolf-P. âAssiâ Glöde der DDR-weite Jazzboom in | |
ihrer LokalitÀt angelangt. Und so konzertierten dort die wichtigen | |
nationalen und zunehmend auch internationalen Figuren der Jazz- und freien | |
Impro-Szene. | |
Immerhin nicht postwendend nach 1989, sondern erst seit Ende 2002, mit der | |
SchlieĂung des Kulturhauses, ist der so kleine wie tatkrĂ€ftige (seit 1991 | |
bestehende) Verein buchstÀblich heimatlos. Unter den echt fix ausgemachten | |
In- und Outdoor-Locations wurde in den folgenden Jahren die Wagenburg | |
LohmĂŒhle, nicht allzu weit vom Ursprungsort, allsommerlich zu einem | |
reizvollen Freiluft-JazzvergnĂŒgen, bei dem man â auf Spendenbasis oder | |
gratis â an mehreren Wochenenden in den luxuriösen Genuss der spannendsten | |
Acts von Berlin und anderswo kam. | |
Seit 2017 muss man sich dafĂŒr an einen weniger zentralen, nicht minder | |
charmanten, noch dazu weitlÀufigeren Ort begeben: das Areal eines | |
ehemaligen DDR-Kindergartens in Berlin-Schöneweide, wo mittlerweile sogar | |
schon zweimal das eher selten, weil aufwendig auf Tourtrab zu bringende | |
Riesenensemble The Dorf aus dem Ruhrgebiet auftrat. Und wie schon am | |
VorgÀngerort finden sich neben den jeweils Musizierenden auch stets | |
neugierige, begegnungsfreudige Kolleg*innen zu einem Konzertbesuch ein. | |
## Bands & Musiker | |
Ein offenes, unhierarchisches und unprÀtenziöses Miteinander, wie es auch | |
dem Bassisten Joscha Oetz absolut behagen dĂŒrfte. Der umtriebige, auf | |
kollektive KreativitÀt setzende Kölner, der vor vier Jahren die Leitung der | |
1980 gegrĂŒndeten âOffene Jazz Haus Schuleâ ĂŒbernahm, verbrachte ein Dritt… | |
seiner gut dreiĂig Musikerjahre fernab Deutschlands: in den USA, wo er auf | |
den Geschmack der Allianz zwischen Jazz, spoken word und HipHop kam. | |
Daran knĂŒpft der 53-JĂ€hrige nun, zurĂŒck in seiner Heimatstadt, vorneweg mit | |
Perfektomat an, einer eher fluiden Band, im Verbund mit dem Rap-Philosophen | |
Retrogott alias Kurt Tallert. Dass in Oetzâweitschweifigen, an | |
Kooperationen reichen Experimental- und Improvisationswelten auch immer | |
wieder Musiktradtionen Perus Eingang finden, hat natĂŒrlich eine | |
Vorgeschichte. | |
Vom Aufbaustudium in San Diego ging es nÀmlich weiter nach Lima und dort | |
insbesondere tief in die teils auch durchaus Jazz-verbandelte | |
afroperuanische Musikszene. Es ist schon bemerkenswert und sucht | |
seinesgleichen, wie all diese scheinbar disparaten EinflĂŒsse und | |
BeschĂ€ftigungen im vielseitigen Tun von Joscha Oetz zusammenfinden â noch | |
dazu auf einfallsreiche und zugleich organische Weise. | |
## Label & Releases | |
Ein Deutscher, der ebenfalls das Weite gesucht hat â allerdings innerhalb | |
Europas â und vorlĂ€ufig nicht zurĂŒckgekehrt ist, ist Thomas Schindowski. | |
Der langjĂ€hrige Wahl-Madrilene aus FĂŒrth widmete sich nach eigener Aussage | |
von jeher dem Singen und Gitarrespielen, schlug sich in seinen ersten | |
Jahren in Spanien vordergrĂŒndig als StraĂenmusiker durch. Dass er im Jahr | |
2000 sein Plattenlabel âYoukaliâ grĂŒndete, war eine Art Verlegenheit, um | |
zunÀchst einmal seine eigene Musik zu veröffentlichen. | |
Heute, fast 25 Jahre und 250 Releases spÀter, gehört das Label zu den | |
wichtigsten, auch international beachteten in Sachen Jazz und Flamenco. Und | |
allem nur Denkbaren dazwischen und drumherum, die Grenzen sind ja ohnehin | |
flieĂend und Schindowskis Geschmack und Interesse auch keineswegs auf | |
bestimmte Bahnen begrenzt. Ein Limit haben jedoch die ArbeitskapazitÀten in | |
diesem weitestgehend als Ein-Mann-Betrieb funktionierenden Unternehmen: So | |
liegt lediglich ein kleiner Teil des bisherigen Katalogs auch | |
produktionstechnisch in den HĂ€nden des Labelchefs. | |
Das Gros der Veröffentlichungen liefern die Musiker*innen, die zumeist von | |
sich aus den Kontakt zum Label suchen, nahezu fix und fertig ab. GroĂe, | |
weltweit renommierte Leute sind darunter, wie der US-Gitarrist John | |
Abercrombie und sein Landsmann, der Latinjazzer Jerry GonzĂĄlez, der seine | |
letzten Lebensjahre in Spanien verbrachte und gemeinsame Sache mit den | |
SchlĂŒsselfiguren des Flamenco-Jazz machte. | |
Die instrumentale Tango-Habanera von Kurt Weill, der der Labelname entlehnt | |
ist, wurde spĂ€ter mit einem Text ĂŒber eine imaginĂ€re Insel versehen, auf | |
der die Menschen glĂŒcklich und frei leben. Eine gute Metapher, befand | |
Thomas Schindowski, und zum Geist des Labels passend. Keine Insel, dafĂŒr | |
aber ein Ort der Freiheitsliebe ist ja auch bestenfalls der Jazz. | |
24 Aug 2024 | |
## AUTOREN | |
Katrin Wilke | |
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