# taz.de -- das wird: „Wir vertrauen einander mehr, als wir annehmen“ | |
> Utopie-Konferenz hofft in Lüneburg auf Vertrauen | |
Interview Luisa Gohlke | |
taz: Halten Sie Vertrauen echt für eine utopische Praxis? | |
Sven Prien-Ribcke: Ja und nein. Wir vertrauen einander mehr, als wir | |
annehmen. Wir gehen unbewaffnet auf die Straße, wählen und vertrauen den | |
Gerichten. | |
taz: Aber warum stellen Sie das Thema „Vertrauen“ dann ins Zentrum der | |
Utopie-Konferenz? | |
Prien-Ribcke: Weil es uns aufrüttelt. Wir haben es mit Ausnahmezuständen zu | |
tun. Das verunsichert Menschen und Politik. Viele zweifeln daran, dass wir | |
eine gute Zukunft haben können. Wir haben keine eingefahrenen Rezepte, mit | |
denen wir klug auf die gegenwärtigen Krisen antworten können. | |
taz: Inwiefern ist Vertrauen in die Zukunft gerichtet? | |
Prien-Ribcke: Beim Vertrauen geht es zentral um Zukunft. Es ist eine Wette | |
um eine gute Zukunft. Wenn wir einander vertrauen, gehen wir davon aus, | |
dass wir uns auf ein Morgen und Übermorgen verlassen können. | |
taz: Aber beruht Vertrauen nicht auf Erfahrung? | |
Prien-Ribcke: Vertrauen ist eine Praxis, die wir politisch nicht diktieren | |
können. Man muss es sich erarbeiten. Erst in der Praxis zeigt sich, wann | |
Vertrauen gerechtfertigt ist. | |
taz: Was charakterisiert denn eine Vertrauensbeziehung? | |
Prien-Ribcke: In Vertrauensbeziehungen akzeptieren wir unsere | |
Verletzbarkeit. Mindestens zwei Menschen müssen sich darauf einlassen. Wir | |
vertrauen dann einander, wenn das Vertrauen bestätigt wird. Das heißt, wenn | |
wir einander entgegenkommen und beidseitige Interessen berücksichtigt | |
werden. | |
taz: Und wo ist diese Wechselseitigkeit Utopie und wo Alltag? | |
Prien-Ribcke: Ab der ersten Minute unseres Lebens treten wir in | |
Vertrauensbeziehungen ein, weil wir als Menschen verletzbare Wesen sind. | |
Dennoch ist das Vertrauen darauf angewiesen, immer wieder bestärkt zu | |
werden. Es ist leicht zu erschüttern oder zu zerstören. Dieses Wechselspiel | |
kann zur Utopie werden, wenn wir es politisch verstehen: Da wollen wir | |
Menschen vertrauen, die wir gar nicht kennen. Das wird in unsicheren Zeiten | |
noch mehr zur Herausforderung. | |
taz: Welche Art von Vertrauen meint die Utopie-Konferenz? | |
Prien-Ribcke: Das ist die Suche, auf die wir uns begeben wollen. Vom | |
Klimawandel bis zur sozialen Ungleichheit – es könnte sich lohnen, mit der | |
Vertrauensperspektive auf die großen Herausforderungen zu schauen. Das ist | |
die Hoffnung, die wir mit der Utopie-Konferenz verbinden. | |
taz: Was leistet die Konferenz konkret? | |
Prien-Ribcke: Die Probleme sind da. Es ist nur die Frage, wie wir sie | |
angehen. Im besten Fall gibt es dazu Ideen, wie wir die nächste | |
Gesellschaft bewusster gestalten können. Vertrauen könnte ein Gegenentwurf | |
zu den derzeitigen autoritären Versuchungen sein. | |
taz: Wobei diejenigen, die sich von autoritären Gedanken leiten lassen, ja | |
genau darauf vertrauen. | |
Prien-Ribcke: Da sind wir bei der ganzen Ambivalenz des Vertrauens. Man | |
kann innerhalb einer Gemeinschaft Vertrauensbeziehungen aufbauen, auch wenn | |
die Gemeinschaft äußerst schwierige Ziele verfolgt. Deshalb ist Vertrauen | |
immer darauf angewiesen, sich vor der Gerechtigkeit zu rechtfertigen. Ohne | |
moralischen Kompass ist Vertrauen nicht viel wert. | |
taz: Also kommen zur Konferenz diejenigen, die eh die gleichen Werte | |
teilen? | |
Prien-Ribcke: Wir bemühen uns um Anmeldungen aus der Zivilgesellschaft und | |
arbeiten zum Beispiel mit Partnern zusammen, die das befördern. Aber klar, | |
das wird immer beschränkt bleiben, weil man sich für eine solche Konferenz | |
interessieren und sich trauen muss. | |
29 Aug 2024 | |
## AUTOREN | |
Luisa Gohlke | |
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