# taz.de -- Liebe ist nicht nur ein Bot | |
> Mit „Aurora“ erzählt das Sputnic-Kollektiv zum Auftakt der Bremer | |
> Theatersaison eine Geschichte aus der Zukunft. Die ist gar nicht mal so | |
> dystopisch und setzt zum Schluss aufs ganz große Gefühl | |
Bild: Die postapokalyptische Welt fühlt sich durch das besondere Bühnenbild l… | |
Von Lukas Scharfenberger | |
Für Sasika ist Aurora nur ein Ding. Für Kris eine Person. „Wir müssen den | |
Roboter hier lassen“, sagt Sasika, gespielt von Barbara Krebs, „der hält | |
uns nur auf.“ Ihre Hektik ist verständlich: Die Wachen kommen näher und | |
drohen die jungen Frauen einzufangen. „Sie kommt mit!“ erwidert Larissa | |
Pfau als Kris. „Wieso denn ’sie’?“ fragt Sasika. Gibt dann aber doch na… | |
und hilft ihrer Freundin, den Roboter zu retten. | |
Am Theater Bremen hat die neue Spielzeit begonnen. Eröffnet hat sie am | |
Samstag die Jugendsparte im Moks – mit einer Produktion der Gruppe Sputnic, | |
die epische Dimensionen hat: Es ist 2125, Klimakatastrophen haben die alte | |
Welt untergehen lassen. Die meisten Menschen leben in dörflichen, | |
patriarchalen Gemeinschaften. „Ein Leben kontrolliert von anderen: Vätern, | |
Ehemännern, Patriarchen. Darum sind wir gegangen“, erklärt Sasika | |
eindringlich und vielleicht etwas zu direkt dem Publikum. Das Ziel der | |
beiden ist Anarkia, eine Stadt in der alle frei sind und die Utopie erprobt | |
wird. | |
Der Roboter Aurora begleitet sie unter den argwöhnischen Blicken von | |
Sasika. In ihrer Roboter-Rolle bereichert Kerstin Pohle das Stück mit | |
großartigen Gesangseinlagen und einer charmanten Darstellung von | |
künstlicher Intelligenz. Unterstützt werden die drei von Kris’unbeholfenem | |
und schüchternem Cousin Keph, den Frederik Gora mit viel Witz spielt. | |
Nachdem er unter Zwang dem Bruder von Kris ihren Zielort verraten hat, will | |
er sie vor ihrem Verfolger warnen, der danach trachtet, die zwei Frauen | |
zurück nach Hause zu verschleppen. | |
Nils Voges inszeniert mit „Aurora“ bereits die vierte Sputnic-Produktion | |
fürs Moks. Sie wird als Live Animation Cinema beworben: Die | |
Schauspieler*innen tragen Kameras mit sich. Immer wieder filmen sie | |
Animationsplatten ab, die gleichzeitig auf große Leinwände projiziert | |
werden, sodass sozusagen live ein kleiner Animationsfilm entsteht. Das | |
erzeugt eine ungewöhnliche Atmosphäre und lässt die Zuschauer*innen das | |
Gefühl bekommen, Teil eines Films oder Videospiels zu sein. | |
Meistens funktioniert dieses Konzept sehr gut: Die postapokalyptische Welt, | |
die utopische Stadt Anarkia, Menschenmassen in einer Schlange, ein altes | |
Schloss, das geknackt wird, alles fühlt sich durch dieses besondere | |
Bühnenbild lebendiger, echter an. Manchmal überfordert es aber auch, wenn | |
die Schauspieler*innen einen Dialog führen, gleichzeitig neue | |
Animationsplatten auf die Kameras legen, alte vom Boden aufsammeln und auf | |
der Leinwand die gesprochene Szene zusätzlich noch als Cartoon flimmert. | |
Auch der Wechsel zwischen Dialog und inneren Monologen der Figuren erhöht | |
gelegentlich die Unübersichtlichkeit. Allerdings lässt die romanhafte | |
Innensicht die Personen und ihre Konflikte näher rücken. Auch weil die | |
Akteur*innen sogar lange Monologe lebendig rüber bringen. | |
Von Anfang an kommt es wegen des Roboters zwischen Kris und Sasika zu | |
Spannungen. Auf die Frage, ob Aurora ein Bewusstsein hat, antwortet sie: | |
„Natürlich nicht. Ich nutze ein Sprachmodell, das auf Wahrscheinlichkeiten | |
beruht.“ Kris stört das nicht und sie kommt Aurora romantisch näher. Das | |
Stück wirft Fragen auf nach künstlicher Intelligenz, über die Liebe | |
zwischen Mensch und Maschine und nach den Machtverhältnissen zwischen | |
Schöpfer und Geschöpfen. Die bestehen selbst noch in Anarkia weiter fort. | |
Mehrmals wird die US-amerikanische Autorin Ursula K. Le Guin zitiert oder | |
erwähnt. | |
Tatsächlich erinnert die Geschichte an Le Guins ausgefeilte Beschreibungen | |
fiktiver Gesellschaften und anarchistischer Utopien. Genau wie in denen ist | |
auch hier die Stadt keineswegs perfekt, in der neue, alternative Formen des | |
Zusammenlebens ausprobiert werden und in der es Liebe zwischen Gleichen und | |
Respekt für alle Dinge geben soll. Irgendwo schleichen sich immer Fehler | |
ein. Irgendwo setzen sich die dystopischen Kräfte selbst in der schönsten | |
Utopie noch fest. So bemerkt Aurora bald, dass auch in Anarkia die Roboter | |
ganz unten in der Hierarchie stehen. Sie zieht daraus ihre Konsequenzen. | |
Trotz aller Probleme bleibt das Stück optimistisch. Alle Figuren finden | |
ihren Platz und entkommen auf die eine oder andere Art der Unterdrückung. | |
Dabei sind leider nicht alle Charakterentwicklungen hin zum Guten | |
nachvollziehbar und manche Handlungsstränge, wie etwa der Verrat von Keph, | |
werden nicht mehr aufgegriffen. | |
Wenn am Ende dann die Liebe als die Lösung aller Probleme propagiert wird, | |
kippt „Aurora“ so tief in den Kitsch, dass es nur schwer zu ertragen ist. | |
Trotzdem: Insgesamt bleibt das ein schönes Science-Fiction-Roadmovie, mit | |
tollen Charakteren und besonderem Bühnenbild. Und das ist ein Genre, das | |
man noch viel zu selten im Theater sieht. | |
20 Aug 2024 | |
## AUTOREN | |
Lukas Scharfenberger | |
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