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# taz.de -- debatte: Glücksfall und Albtraum
> Kehrt Donald Trump ins Weiße Haus zurück, spielt das Russland in die
> Hände. Aber der Republikaner bleibt unberechenbar – und wird damit auch
> zur Gefahr
Selbstbewusst tritt Marija Butina im „Klub der Redakteure“, der wichtigsten
Politexpertensendung des belarussischen Staatsfernsehens, auf. Die
36-Jährige ist einstige ertappte russische Agentin in den USA und sitzt
heute als Abgeordnete für Putins Partei „Einiges Russland“ in der
Staatsduma. Butina führt das Attentat auf den republikanischen
Präsidentschaftskandidaten Donald Trump am 13. Juli auf den Nahost-Konflikt
zurück: Da Trumps Tochter Ivanka mit dem Juden Jared Kushner verheiratet
und auch selbst jüdisch sei, stehe ihr Vater auf Israels Seite und wolle
den jüdischen Staat als US-Staatspräsident demnächst noch stärker
unterstützen. Propalästinensisch eingestellte linksradikale Demokraten
würden dies nicht hinnehmen, so sei es zum Anschlag gekommen.
Als USA-Kenner profiliert sich auch der Politikwissenschaftler Sergej
Markow, der in russischen Politsendungen dauernd gegen die Ukraine hetzt.
Nach dem Anschlag auf Trump wütet der Verschwörungstideologe in seinem
Telegram-Kanal unermüdlich gegen den US-amerikanischen „Deep state“, der
2020 die Präsidentschaftswahl gefälscht, Trump seines „verdienten Sieges“
beraubt und ihn nun habe töten wollen. In Markows abstruser Welt erscheint
US-Vizepräsidentin Kamala Harris als „Marionette des Deep state“ und der
Schütze als „Antifa-Aktivist“ und „Ukraine-Sympathisant“. Dass das
„faschistische Kiewer Regime“ Trump aufgrund seiner kritischen Haltung zu
den Waffenlieferungen an die Ukraine aus dem Weg räumen wolle, steht sowohl
für Markow als auch für Wiktor Medwedtschuk fest. Der frühere ukrainische
Oligarch und Putin-Vertraute Medwedschuk – bekannt als Drahtzieher des
rechten Netzwerks Voice of Europe – lässt Trump gar einen Brandbrief über
die ukrainische Verstrickung zukommen. Und dann gibt es noch den
einflussreichen rechtsradikalen Philosophen Alexander Dugin, ein
bekennender Trump-Fan, der gegen den „liberalen Faschismus“ im Westen
kämpfe und deshalb von den „US-Eliten“ bedroht würde.
Markow, Dugin und ihre Kollegin*innen sind fleißige Soldaten des
berüchtigten russischen Propagandaapparates, der eine dramatische
Verschärfung der innenpolitischen Situation bis hin zu blutigen Unruhen und
sogar einem Bürgerkrieg in den USA heraufbeschwört. Und der Kreml selbst?
Unmittelbar nach dem Attentat zeigen sich Russlands Präsident Wladimir
Putin und Top-Funktionäre zunächst desinteressiert. Die Reaktionen des
Kreml-Pressesprechers Dmitrij Peskow und seiner Kollegin aus dem
Außenministerium Marija Sacharowa sind kurios wie geschmacklos. In
altsowjetischer Manier spotten sie über die Tradition der politischen
Gewalt in den USA und verbergen ihre Schadensfreude nicht.
Beileidsbekundungen und Genesungswünsche bleiben jedoch aus.
Dabei wird ausgerechnet die sich abzeichnende Rückkehr von Trump ins Weiße
Haus als Segen für Moskau gesehen. Bei der US-Präsidentschaftswahl gilt
Trump als „Russlands Kandidat“. Man befürchtet, dass der Kreml sich –
ähnlich wie 2016 – in den US-Wahlkampf zugunsten des Republikaners
einmischen wird.
Aber so einfach ist das alles nicht. Sowohl Putin als auch Außenminister
Sergej Lawrow haben mehrmals betont, dass sie mit einer Verbesserung der
russisch-amerikanischen Beziehungen in absehbarer Zeit nicht rechnen –
unabhängig davon, wer demnächst in den USA regieren sollte. Putin ließ
sogar durchblicken, dass ihm eine zweite Amtszeit von Biden lieber wäre,
denn der Demokrat sei berechenbar. Von manchen Experten als zynischer Trick
eines erfahrenen Geheimdienstlers abgetan, waren Putins Auslassungen jedoch
nicht unbedingt als Verhöhnung gemeint: Die Biden-Administration agiert im
Ukraine-Krieg bedacht und oft übervorsichtig. Sie will einen direkten
Konflikt mit Moskau nicht provozieren. Eine Einladung der Ukraine in die
Nato, die Putin wohl am stärksten befürchtet, kommt für Biden aktuell nicht
in Frage. Für den Kreml ist der amtierende US-Präsident zweifelsohne ein
Feind – aber physisch und mental angeschlagen. So rief Bidens Ausstieg aus
dem Wahlkampf im Kreml keine Euphorie hervor. Bidens Nachfolgerin Harris –
in Russland aus rassistischen wie sexistischen Gründen eher unterschätzt –
wird den behutsamen außenpolitischen Kurs der heutigen Administration
voraussichtlich fortsetzen. Mit der Demokratin Harris im Weißen Haus könnte
Moskau also leben. Und wie sieht es nun aus mit Trump?
Sein Regierungsstil, seine Rhetorik, seine scheinbare Dialogbereitschaft
und sein Vizepräsidentschaftskandidat J. D. Vance, der sogar vom grimmigen
Lawrow angesichts seiner Ukraine-kritischen Haltung gelobt wurde,
imponieren den russischen Machthabern. Trumps ambitionierte Friedenspläne,
die wohl auf Gebietsabtretungen durch die Ukraine hinauslaufen, besitzen
für Putin hingegen kaum Attraktivität: Er hat es auf die ganze Ukraine
abgesehen. Gegen Trump sprechen aus Moskauer Sicht vor allem die
Erfahrungen, die der Kreml mit dem Republikaner während seiner ersten
Amtszeit gemacht hat: Damals hat sich das ohnehin zerrüttete Verhältnis
zwischen den beiden Staaten verschlechtert. Und Trumps Opportunismus, seine
Impulsivität und vor allem seine Unberechenbarkeit machen Putin zu
schaffen. Trump könnte ein Glücksfall für Moskau sein – und ein Albtraum.
Unter diesen Umständen hat der Kreml bei der US-Wahl keinen klaren
Favoriten. Während des US-Wahlkampfes konzentriert sich Moskau auf den
Krieg in der Ukraine. Nach dem Wahlkampf hofft man auf eine innenpolitische
Explosion und chaotische Zustände in den USA, welche Washington nachhaltig
schwächen und sogar zum von Putin ersehnten politischen und militärischen
Rückzug der Amerikaner aus Europa führen würden. Nach den turbulenten
Juli-Ereignissen glaubt der Kreml wohl diesem Wunschszenario ein großes
Stück näher gekommen zu sein.
2 Aug 2024
## AUTOREN
Alexander Friedman
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