# taz.de -- Gefühl der Ohnmacht | |
> Ressentiments haben eine neue Dynamik angenommen in unserer Gesellschaft | |
> – so scheint es zumindest. Ein Buch geht einem möglichen Zusammenhang von | |
> Einsamkeit und Ressentiment nach | |
Von Till Schmidt | |
Jeder kennt sie: Ressentimentgeladene Menschen, die auf verstörende Weise | |
ihre Lebensenergie dafür aufwenden, andere Menschen abzuwerten. | |
Möglicherweise aufgrund von selbst erlittenen Kränkungen; in jedem Fall zum | |
Zweck, ihr eigenes Selbst auf dem Rücken von anderen zu stabilisieren. Wie | |
sich mit solchen destruktiven Verhaltensweisen im Alltag umgehen lässt, ist | |
unerschöpfliches Thema in zeitgenössischen Ratgebern. | |
Im Mai 2024 veröffentlichte das Bundesfamilienministerium eine Studie, die | |
zeigt, wer sich hierzulande besonders einsam fühlt und wie sich das durch | |
die Covid-Pandemie verändert hat. Die Analyse ist Teil einer umfassenden | |
„Strategie gegen Einsamkeit“. Medial findet das Thema inzwischen ebenfalls | |
mehr Beachtung. Einsamkeit wird als individuelles Leiden wie als | |
gesamtgesellschaftliches Problem immer weniger tabuisiert. | |
Was aber auffällt: In der Debatte wird kaum nach dem Zusammenspiel von | |
Einsamkeit und Ressentiment gefragt. Selbstverständlich entwickelt nicht | |
jeder einsame Mensch Ressentiments, und nicht jede ressentimentgeladene | |
Person fühlt sich einsam. Durchaus feststellen lässt sich allerdings eine | |
individuelle, soziale und politische Korrelation dieser beiden Emotionen. | |
Und: ihr Zusammenspiel kann sich desaströs auswirken auf den | |
gesellschaftlichen Zusammenhalt und die gesamte demokratische Ordnung. | |
Dies ist die Ausgangsbeobachtung eines erhellenden Buches aus der | |
Emotionsforschung. Bemerkenswert an „Einsamkeit und Ressentiment“ ist nicht | |
nur die konzeptuelle Klarheit, mit der die drei Autor:innen Jens | |
Kersten, Claudia Neu und Berthold Vogel argumentieren und auch im | |
Alltagsdiskurs stark präsente Begriffe theoretisch einordnen. | |
Das Buch bezieht sich zudem auf mehrere größere empirische Studien und | |
interpretiert diese Daten vorsichtig und sehr differenziert. So etwa zu den | |
strukturellen Begünstigungsfaktoren von Einsamkeit oder zu den Strategien | |
von populistischen Polarisierungsunternehmern, aus diesem Gefühl | |
politisches Kapital zu schlagen. | |
Dabei machen die Autor:innen deutlich: Die Rede von unveränderlichen | |
„Ressentiment-Menschen“ ist nicht nur empirisch unhaltbar, sondern negiert | |
jede Chance auf gesellschaftliche und politische Veränderung. Und genau | |
hierauf zielt das Buch explizit ab. Nach der Lektüre bleiben einige Fragen | |
ungeklärt. „Einsamkeit und Ressentiment“ ist daher vor allem eine | |
Einführung – die gerade über die Fachwissenschaft hinaus Beachtung finden | |
sollte. | |
6 Jul 2024 | |
## AUTOREN | |
Till Schmidt | |
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