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# taz.de -- berliner szenen: Poetisches am Rande des Spiels
Die Stadt ist durch eine riesige Fanmeile geteilt, auch am Brandenburger
Tor kein Durchkommen. Aber in den Tiefen Neuköllns herrschen andere
Gesetze: Eine argentinische Bekannte trotzt der EM-Euphorie und lädt zur
Vorstellung ihres neuen Gedichtbands ein. Dessen Titel, ins Deutsche
geflankt, lautet: Ich hab ’ne Party anberaumt und will jetzt nur, dass ihr
abhaut. Klingt auf Spanisch natürlich viel poetischer.
Während der Rest der Stadt wie gebannt auf die Bildschirme starrt, tröpfeln
die Lyrikfans in die ehemalige Fleischerei, die heute Gelegenheiten heißt.
Als sich eine kritische Masse eingefunden hat und die Dichterin auf einmal
verschwunden ist, startet die Lesung. Erst einmal ohne Autorin: Eine DJ
legt elektronische Klänge auf, wie beiläufig fängt eine Frau an zu tanzen,
first cajual, dann immer ausdrucksstärker, und plötzlich erinnern ihre
Bewegungen an modernen Tanz. Dann ebbt die Musik abrupt ab. Die Frau
zappelt noch ein paar Minuten nach Luft schnappend durch den Raum. Auf der
Wand hinter ihr erscheint nun die Dichterin, projiziert im Halbprofil. Sie
sitzt im gekachelten Bad, zieht sich die Lippen nach, nippt an einem Glas
Rotwein und „probt“ die Lesung.
Das Bild ruckelt, wahrscheinlich ist das Wifi schwach, doch die Tänzerin
rappelt sich auf und bewegt sich zu den immer kraftvolleren Versen. Später
soll jemand sagen, die Tänzerin war Avatar der Dichterin, und jemand
anderes, die Dichterin war Avatar der Tänzerin.
Von der Straße her Geschrei, irgendeine Mannschaft hat den Ball ins Tor
gefriemelt. An der Bar perlt der Sekt. Tänzerin und Dichterin herzen sich.
Einige werfen sich auf ein Engelsbett, das von einer befreundeten
Künstlerin installiert wurde. Vor dem Klo werden Empanadas feilgeboten. In
das Bad, aus dem die Lesung gesendet wurde, traue ich mich nicht. Timo
Berger
15 Jul 2024
## AUTOREN
Timo Berger
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