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# taz.de -- debatte: Mehr Geld für viele ...
> … und weniger Vorteile für wenige: Was Christian Lindner bei Steuern und
> Krankenversicherung von Österreich und der Schweiz lernen kann
Es vergeht kaum ein Tag ohne Klagen über hohe Steuern und steigende
Krankenkassenbeiträge. Dafür gibt es durchaus Gründe. So wies die
Organisation für wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit (OECD) erst
vor wenigen Monaten nach, dass die steuerliche Belastung speziell von
mittleren und niedrigen Einkommen in Deutschland „zu hoch“ sei. In dieser
Debatte über Steuern und Abgaben wird jedoch gern verschwiegen, dass die
Belastung der meisten Bundesbürger auch deshalb so hoch ist, weil sie die
Privilegien für Besserverdienende und die Steuerfreiheit für Vermögen
mitbezahlen müssen. Wie die meisten Bürgerinnen und Bürger von Abgaben
entlastet werden könnten, ohne dass bei Sozialleistungen und
Zukunftsinvestitionen gespart werden muss, zeigt ein Blick in die Schweiz,
nach Österreich – und in die jüngste deutsche Geschichte.
Bis 1997 war die Steuerbelastung in Deutschland vergleichsweise gerecht.
Vermögende wurden besteuert, und der Spitzensteuersatz lag bei 53 Prozent.
Dann änderte sich alles: [1][1997 wurde die Vermögensteuer vom
Bundesverfassungsgericht ausgesetzt]. Ab 1998 ließ ausgerechnet der
Sozialdemokrat Gerhard Schröder als Bundeskanzler den Spitzensteuersatz von
53 auf 42 Prozent und die Körperschaftsteuer von 25 auf 15 Prozent senken.
Gleichzeitig wurden die Verbrauchsteuern erhöht. „Dies führt bis heute zu
jährlichen Steuerausfällen von 48 Milliarden Euro“, rechnet der Dierk
Hirschel, der Chefvolkswirt der Gewerkschaft Verdi, in seinem Buch „Das
Gift der Ungleichheit“ vor.
Diese Steuersenkungen für Unternehmen, Besserverdienende und Vermögende
gingen voll zulasten der Bezieher mittlerer und niedriger Einkommen. Und
die Schieflage spitzt sich ständig weiter zu. So entlastet die Steuerreform
vom Januar dieses Jahres eine Familie mit zwei Kindern und einem
Monatseinkommen von 7.000 Euro brutto um 542 Euro. Bei einem
Spitzenverdienst von 16.000 Euro sind es gar 1.600 Euro. Jede weitere
pauschale Steuersenkung wird die Umverteilung von unten nach oben weiter
verstärken.
Wie es anders geht, zeigt die Schweiz. Dort sind die Steuersätze für alle
Einkommen deutlich niedriger als in Deutschland. Gleichzeitig belastet das
Land Barvermögen, Grundstücke, Immobilien, Kunstwerke, Wertpapiervermögen
und andere Werte von Privatleuten ab einem Freibetrag von umgerechnet
100.000 Euro mit einer Vermögenssteuer. Sie beläuft sich – je nach Kanton �…
auf 0,2 bis 1,01 Prozent, wobei der Satz mit der Höhe des Vermögens
ansteigt. Der Widerstand gegen diese Vermögenssteuer ist gering, weil sie
so niedrig ist. Doch obwohl sie so niedrig ist, trägt sie mit umgerechnet
mehr als 10 Milliarden Euro zum Schweizer Staatshaushalt bei. Nach einer
Studie des Momentum-Instituts, des Netzwerks Steuergerechtigkeit und Oxfam
Deutschland würde die Vermögensbesteuerung der Schweiz, übertragen auf
Deutschland, [2][rund 73 Milliarden Euro] in die öffentlichen Kassen
spülen. Dieses Geld könnte in Zukunftsinvestitionen fließen, aber auch
genutzt werden, um mittlere und niedrige Einkommen zu entlasten. Das
Steuersystem wäre dann gerechter, das Vertrauen der Steuerzahler in den
Staat größer.
Weniger Vorteile für wenige, mehr Geld für viele: Nach diesem Prinzip
ließen sich auch die Krankenversicherungsbeiträge senken. Derzeit liegen
sie für die Beschäftigten und ihre Arbeitgeber zwischen 15 und 16 Prozent.
Tendenz steigend. Doch: Gutverdiener können in private Versicherungen
wechseln. Beamte sind privat versichert. Und Spitzenverdiener profitieren,
weil der Versicherungsbeitrag ab einem Monatsgehalt von 5175 Euro nicht
mehr steigt.
Was möglich ist, wenn alle gleichbehandelt werden, zeigt Österreich: Dort
sind alle Bürger in einer gesetzlichen Krankenversicherung.
Privatversicherungen bieten nur Zusatzleistungen. Zudem wird in Österreich
das gesamte zu versteuernde Einkommen für die Berechnung der Beiträge
herangezogen, also neben Löhnen und Gehältern auch Zinsen, Gewinne und
Mieteinnahmen erhoben – bis zu einer Grenze von 6.060 Euro pro Monat.
Alle Bürger sind in den gleichen Versicherungen, auf alle Einkommen werden
Beiträge erhoben – das zeigt Wirkung: Im Nachbarland sind die
Krankenversicherungsbeiträge mit 7,65 Prozent für Arbeitgeber und
Arbeitnehmer zusammen halb so hoch wie in Deutschland. Das bedeutet: höhere
Nettolöhne für Arbeitnehmer und geringere Lohnnebenkosten für Unternehmen.
Obwohl Besserverdienende in der Alpenrepublik deutlich stärker zur
Finanzierung der Gesundheitskosten herangezogen werden, hält sich ihr
Widerstand in Grenzen, weil die Beiträge viel niedriger sind.
Selbst wenn diese Regelungen nicht eins zu eins auf Deutschland übertragen
werden können, so ließe sich doch daraus lernen. Etwa so: Man besteuere
auch in Deutschland private Vermögen mit geringen Sätzen – und senke die
Einkommensteuer gezielt für mittlere und niedrige Einkommen. Ähnlich
verfahre man im Gesundheitssystem: Bestehende Verträge bleiben bestehen,
aber Jahr für Jahr werden mehr Beschäftigte in die gesetzliche
Krankenversicherung integriert. Privatversicherungen bieten nur noch
Zusatzleistungen. Neben Löhnen werden auch Zinsen, Gewinne und andere
Einkünfte auf der Steuerkarte mit Beiträgen belastet – bis zu einer
Höchstgrenze von 6.000 Euro monatlich. Dann würden die
Krankenversicherungsbeiträge für viele sinken.
Fraglich bleibt, ob die Politik in Deutschland die Kraft und den Willen
hat, solche Reformen gegen die Lobbygruppen derer durchzusetzen, die von
den gegenwärtigen Privilegien profitieren. Aber der Versuch würde mehr
bringen als ständig weitere Steuersenkungen, die die Ungleichheit von
Einkommen und Vermögen immer größer werden lassen. Und die dabei auch noch
Geld kosten, das anderswo im Haushalt fehlt.
8 Jul 2024
## LINKS
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## AUTOREN
Wolfgang Kessler
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