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# taz.de -- „Die Behörden haben es sich zu leicht gemacht“
> NEUKÖLLN Wie die Familie des am vergangenen Donnerstag erschossenen Burak
> B. erhebt auch die Mutter des im März erstochenen 18-jährigen Yusef El A.
> schwere Vorwürfe gegen die Polizei: Selbst zwei Tage nach der Tat habe
> sich noch kein Beamter bei ihnen gemeldet
INTERVIEW ALKE WIERTH
taz: Frau El A., Sie haben bei einer Gedenkfeier für Ihren Sohn gesagt, Sie
seien von den Behörden enttäuscht. Warum?
Maida El A.: Ich hatte noch keinen Brief oder Besuch von der Polizei, noch
kein Aktenzeichen, als im Fernsehen schon bekannt gegeben wurde, der Täter
sei wieder frei.
Das war zwei Tage nach der Tat. Die Polizei hatte da noch keinen Kontakt zu
Ihnen aufgenommen?
Nein. Ich habe mich durchtelefonieren müssen, um herauszufinden, welcher
Beamte den Fall bearbeitet. Ich fragte mich, ob die uns für dumm halten,
nicht ernst nehmen? Wir sind doch die Eltern! Ich habe immer gedacht, ich
bin eine starke Frau. Aber das ist sehr hart.
Wie haben Sie denn erfahren, dass Ihr Sohn tot ist?
Eltern von Freunden von Yusef, die das Ganze mitbekommen haben, haben eine
Nachbarin angerufen und gesagt, dass Yusef zum Krankenhaus gefahren worden
ist und dass er einen Messerstich hat. Die Nachbarin sagte, es sei nichts
Schlimmes. Ich bin dann zum Krankenhaus gefahren. Dort waren viele Leute,
die Polizei, die Jungs, da dachte ich schon, was ist denn los? Dann war es
leider schon auch … er war angeblich schon zu dem Zeitpunkt … wir haben ihn
ja leider nicht gesehen. Wir durften ihn nicht sehen.
Warum nicht?
Er war operiert worden, man hat versucht, ihn wiederzubeleben. Aber es ging
nicht mehr. Der Arzt meinte, der Stich ging ins Herz.
Was hätten die Behörden anders machen sollen?
Sich mehr Mühe geben! Sie haben es sich zu leicht gemacht. Ich habe oft für
Leute übersetzt, war mit bei Gericht. Daher kenne ich Fälle, da waren die
Tatverdächtigen in Haft bis zur Gerichtsverhandlung, weil man gesagt hat,
wir haben noch nicht genug ermittelt und noch nicht genügend Beweismittel.
Das waren nicht mal Tötungen. Und dann geht man mit so einem Fall so um?
Auch wenn es Notwehr war: Man muss doch erst mal ermitteln. Ich habe immer
gedacht, die Gesetze sind nicht umsonst. Ich war der Meinung, dass alles
genau überprüft und danach entschieden wird. Aber in diesem Fall, bei einem
Totschlag, dass sie das so leicht nehmen, das verstehe ich nicht.
Glauben Sie, dass die Behörden sich so verhalten haben, weil Ihr Sohn
arabischstämmig ist?
Ich hoffe nicht, dass es so ist. Das weiß man nicht. Ich dachte immer, die
machen ihre Arbeit, ob das jetzt ein Deutscher ist oder ein Türke oder was
weiß ich. Gesetz ist Gesetz – das gilt doch für alle, oder nicht? Egal, ob
ich schwarze oder rote Haare habe.
Haben Sie die Berichterstattung über den Fall verfolgt?
Ich habe keine Zeitungen gekauft, aber die Leute haben mir welche gebracht.
Und ich hatte das Gefühl, dass in den Medien vieles falsch dargestellt
worden ist. Man hat meinen Sohn mit dem Täter gleichgestellt. So auf die
Art: Yusef ist ja auch nicht ohne, er hat auch schon eine Akte. Das fand
ich traurig. Ich habe sogar bei einigen Zeitungen angerufen, nachdem ich
deren Berichte gelesen hatte.
Ihr Sohn hatte ein Gerichtsverfahren wegen Mofa-Diebstahls, das eingestellt
wurde.
Ja, er musste vor das Jugendgericht. Aber das darf man doch nicht
vergleichen. Er war damals 13 Jahre alt, der Täter ist ein erwachsener
Mann. Mein Sohn war kein Engel, natürlich nicht. Er war viel unterwegs,
hatte viele Freunde, da kommt man auch mal in Konflikte. Aber er war
keiner, der Konflikte ausgelöst hat. Er war nett, hat oft geholfen. Er war
einer, der nicht weggucken konnte. Er war ja auch Streitschlichter und
hatte einen Kurs dafür gemacht. Und abgesehen davon: Ich kenne meinen Sohn,
ich weiß, wie ich meine Kinder erziehe. Ich weiß, wie sie mit anderen
umgehen müssen. Ob das nun ein Deutscher ist oder jemand anderes, das
spielt für uns keine Rolle. Jetzt sagen mir hier fremde Leute: Dein Sohn
hat mir beim Einkaufen geholfen, er hat mir immer die Tür aufgehalten – und
jetzt ist er weg. Das waren Kleinigkeiten, aber da sieht man doch, wie ein
Mensch ist!
Sind Sie von den Deutschen enttäuscht?
Nein. Man darf das nicht in einen Topf schmeißen. Ich habe viele Kontakte
zu Deutschen, meine Nachbarn hier sind topp. Die sind jetzt so nett – das
gibt mir das Gefühl, dass wir keine schlechten Menschen sind. Wenn die mit
mir gemeinsam trauern, dann weiß ich, dass ihnen an meinem Sohn etwas
gelegen hat. Ich hatte nie das Gefühl, dass ich hier als Ausländerin
betrachtet werde.
Würden Sie jetzt gerne weggehen?
Aus Deutschland meinen Sie? Ich weiß es nicht. Manchmal spielt man mit dem
Gedanken. Man will ja den Kindern auch ein besseres Leben bieten. Aber wir
sind Palästinenser. Wo sollen wir denn hin?
Haben Sie jetzt Angst um Ihre Kinder?
Ja, und das sollte doch eigentlich nicht so sein. Ich habe mich immer
wohlgefühlt hier, ich habe mich verständlich machen können, meine Kinder
hatten keine Schwierigkeiten, auch in der Schule nicht, nie. Und dann kommt
so etwas und macht einem alles kaputt, was man aufgebaut hat. Mein Sohn ist
tot und ich kann ihn leider nicht zurückbringen. Aber man sollte es für uns
nun nicht schlimmer machen, als es ist.
11 Apr 2012
## AUTOREN
ALKE WIERTH
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