# taz.de -- das wird: „Antworten auf ungestellte Fragen“ | |
> Texte, Filme, Musik: eine offenherzige neue Lesebühne als Mittel gegen | |
> die Resignation | |
Interview Sarah Lasyan | |
taz: Frau Seddig, Sie beschreiben Ihre neue Musik-Film-Lese-Bühne als | |
künstlerisches Experiment. Ist die gewöhnliche Lesebühne auserzählt? | |
Katrin Seddig: Ich weiß nicht, ob Lesebühnen heute auserzählt sind – es | |
gibt sie ja noch und sie sind teilweise auch gut besucht. Die Idee für das | |
neue Format hatte ich, weil ich mich aus der Anpassung befreien wollte, | |
Texte für das Publikum und auf ihre Reaktion hin zu schreiben. Die meisten | |
Lesebühnen sind humoristisch ausgerichtet. Nicht alle, aber mich hat das | |
irgendwie gestört. | |
Was genau stört Sie? | |
Ich möchte Texte nicht daraufhin schreiben, dass ich mir beim Lesen schon | |
überlege, ob jemand darüber lachen wird, oder mich immer nur mit Leuten | |
messen, die Texte schreiben, über die gelacht wird. Wir wollen das auf die | |
Bühne bringen, worauf wir selbst Lust haben, etwas, das vielleicht auch das | |
Publikum herausfordert. | |
Wie das? | |
Indem nicht nur klassische, sondern auch experimentelle Texte, Lyrik, | |
Theater- und Prosatexte auf die Bühne kommen. Und dann hatte ich eben die | |
Idee, den künstlerischen und herausfordernden Anspruch auf andere Bereiche | |
auszudehnen. Da bot sich Film und Musik ohne Gesang an, weil unsere | |
Veranstaltung eher textlastig ist. | |
„Wir sind spät, aber es ist noch heute“ ist der Titel. Worauf möchten Sie | |
damit hinaus? | |
Das ist aber eine gemeine Frage (lacht). Wir haben lange über den Titel | |
nachgedacht und diskutiert, bis er zufällig an dem Abend entstanden ist, an | |
dem wir einen Titel für die Veranstaltung finden mussten. Um kurz vor 23 | |
Uhr hatte ich in den Chat geschrieben: „Ich bin spät, aber es ist noch | |
heute“, und da meinten die anderen: Das ist er! Ich glaube aber, das ist | |
nicht alles, was der Titel bedeuten kann. | |
Was noch? | |
Ich habe das Gefühl, dass die gesellschaftliche Situation ganz schön | |
festgefahren ist – umweltmäßig, politisch… Mit einer Bühne verbinde ich … | |
Hoffnung, dass ich als künstlerisch arbeitende Person auch auf | |
künstlerische Weise aktiv sein kann: eine künstlerische Art | |
gesellschaftlichen und politischen Engagements. Dass wir eben nicht den | |
Kopf in den Sand stecken, sondern sagen, wir sind zwar spät, aber wir | |
können noch etwas tun. | |
Sie versprechen „Antworten auf ungestellte Fragen“. Welche sind das? | |
Ich persönlich frage mich natürlich, funktionieren die Sachen, die wir auf | |
die Bühne bringen möchten, die uns gefallen und die wir möglichst keinen | |
wirtschaftlichen Zwängen unterwerfen wollen, als Ganzes? Das ist eine | |
Frage, die aber bereits gestellt ist. Antworten auf ungestellte Fragen zu | |
finden, bedeutet: Die Frage ergibt sich vielleicht erst, wenn die Antwort | |
bereits vorliegt. Diese ist sozusagen der künstlerische Beitrag. Der | |
Prozess wird im Idealfall also umgedreht: Aus der Antwort entsteht die | |
Frage. | |
Ist die Lesebühne auch ein Ort, um herauszufinden, wie gut ein Text | |
funktioniert? | |
Die Bühne ist auf jeden Fall ein sehr guter Resonanzraum. Es ist eine | |
andere Wirksamkeit als ein Buch, das gedruckt ist: unmittelbarer. Ich habe | |
das Gefühl, auf der Bühne gesellschaftlich wirksamer zu sein, obwohl das | |
natürlich gar nicht stimmt, weil man mit einem Buch viel mehr Menschen | |
erreichen kann. Aber es fühlt sich so an, es ist ein größeres Wagnis, | |
unkorrigierter, mehr Experiment. | |
Neben dem Lesen zeigen Sie auch Kurzfilme, DJs legen Instrumentalmusik auf | |
… | |
Die neue Bühne ist in diesem Sinne ein Experiment, weil wir nicht genau | |
wissen, was die Anderen machen. Und das soll auch so sein. Zwar ist es | |
dadurch möglich, dass das Einzelne oder auch alles zusammen scheitert. Aber | |
das lässt eben ganz viel Freiraum. | |
5 Jun 2024 | |
## AUTOREN | |
Sarah Lasyan | |
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