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# taz.de -- berliner szenen: Sie fühlt sich hier heimisch
Seitdem mein Kabelanschluss wieder funktioniert, gucke ich Fernsehen mit
meinem alten Fernseher. Keine Ahnung, ob es mir so besser gefällt, als mit
Laptop. Von den „Simpsons“ bin ich jedenfalls enttäuscht. Die
Sonntagabendkrimis dagegen geben mir irgendwie Halt. „Tatort“ und
„Polizeiruf 110“ gehören zu den wenigen Ereignissen, auf die ich mich fast
freue. Der letzte aktuelle „Polizeiruf“ vor der Sommerpause hatte mir ganz
gut gefallen. Wahrscheinlich, weil er teils in der ersten Person erzählt
wurde und die Dramaturgie nicht so straight forward war.
Am nächsten Tag habe ich einen Termin in der Onkologie. Blutkontrolle um
zehn. Ich warte im Palliativbereich. Da ich einen Port für die
Chemotherapie habe, braucht mich der junge Arzt nicht zu stechen. Ich bin
stolz, aber auch ein bisschen erschrocken, wie schnell das Blut durch den
Port in die Röhrchen fließt. Bis mein Blut analysiert ist, dauert es eine
Stunde, die ich draußen verbringen möchte. Im Fahrstuhl treffe ich J. Wir
hatten uns vor zwei Monaten in der Depressionsstation kennengelernt.
Wir sitzen auf der Bank des offiziellen Raucherbereichs, reden, schweigen
manchmal. Er erzählt, dass Y. gestern wieder hier war. Es wundert ihn, dass
sie so gerne kommt, weil das Krankenhaus doch eher hässlich ist. Sie fühlt
sich, glaube ich, heimisch, sage ich, weil sie hier schon so oft auf
Station war. Wenn ihr zu Hause die Decke auf den Kopf fällt, sehnt sie sich
nach Gesellschaft. Es beruhigt sie, spazieren zu gehen, vor dem Eingang zu
rauchen, mit Patienten zu sprechen. Mit Leuten zusammen zu sein, deren
Leben auch von Krankheit bestimmt ist. Vor einem Jahr hatten wir uns in der
Krisenintervention kennengelernt. Es ist so lange her. Am Ufer schauen wir
den Schwänen zu, wie sie ihre Köpfe ins Wasser stecken.
Detlef Kuhlbrodt
3 Jun 2024
## AUTOREN
Detlef Kuhlbrodt
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