| # taz.de -- Grundeinkommen für Kleinbauern: Was ihnen blüht | |
| > Dem größten Blumenfest Österreichs setzen Klimakrise und Wandel in der | |
| > Landwirtschaft zu. Hilft ein Grundeinkommen für Landwirte? | |
| Bild: Die Narzisse droht von anderen Pflanzen verdrängt zu werden | |
| Wien/Salzburg taz | Seit 64 Jahren findet im Ausseerland, einer Kleinregion | |
| im Salzkammergut in Österreich, das Narzissenfest statt. Zu Österreichs | |
| größtem Blumenfest ziehen weiße Adler, Schneemänner oder Elefanten aus | |
| Narzissen durch die Straßen. Die Figuren bestehen aus Drahtgestellen und | |
| sind mit Moosen und mindestens 70 Prozent Narzissen geschmückt, so die | |
| offizielle Vorgabe. | |
| Dieses Jahr ist aber alles anders. Die Narzissen blühten im warmen April zu | |
| früh, zum Festkorso am 2. Juni könnten sie bereits verblüht sein. Daher | |
| wurden die Regeln geändert: Die Figuren müssen erstmals nur noch zu | |
| mindestens 10 Prozent mit Narzissen geschmückt sein. | |
| Die Blumen sind ein Symbol der Region, sie ziehen Touristen an. Davon zeugt | |
| etwa das „Narzissen Vital Resort“, ein luxuriöses Hotel und Spa. Das | |
| Narzissenfest alleine bringt der Region Ausseerland jedes Jahr 8 bis 9 | |
| Millionen Euro ein. Doch die Wiesen verschwinden – vor allem deshalb, weil | |
| immer mehr kleine Landwirte aufhören, Vieh zu halten. | |
| Das Kleinbauernsterben schadet der Natur, der Kultur, dem Tourismus und | |
| damit auch der Wirtschaft im Ausseerland. Franz Steinegger, Bürgermeister | |
| der 1.150-Einwohner-Gemeinde Grundlsee, in der die Narzissenfiguren 2024 | |
| präsentiert werden, tritt dem mit einem „Landschaftspflegefonds“ entgegen. | |
| Was steckt dahinter? Um diese Idee zu verstehen, muss man sich zuerst damit | |
| beschäftigen, was genau die Narzisse bedroht. | |
| ## Die Narzissenwiesen schwinden | |
| Bis zu 70 verschiedene Pflanzen, darunter viele bedrohte Arten, findet man | |
| auf 50 Quadratmeter Narzissenwiese. „Die Narzissenwiesen im Ausseerland | |
| zählen zu den artenreichsten Lebensräumen Europas“, erklärt Andreas Bohner, | |
| der sie seit über zwanzig Jahren erforscht. Heute gibt es noch rund 70 | |
| Wiesen – fast zwei Drittel weniger als vor einigen Jahrzehnten. | |
| [1][Zu viel Dünger] und zu frühes oder zu häufiges Mähen führen dazu, dass | |
| andere Pflanzen die Narzisse verdrängen. „Die Narzisse braucht viel Licht. | |
| Das nehmen sie ihr weg“, sagt der Ökologe. Werden die Wiesen hingegen erst | |
| im Hochsommer und nur einmal jährlich gemäht oder schonend beweidet, kann | |
| die Blume Samen bilden, ausstreuen und ausreichend Nährstoffe einlagern. | |
| Werden Almen und steilere Wiesen nicht mehr bewirtschaftet, wachsen oft | |
| schon nach einem Jahr die ersten Sträucher oder Baumsetzlinge und | |
| verdrängen die lichtliebende Narzisse. Nicht bewirtschaftete Wiesen könnten | |
| je nach Standort in 5 bis 30 Jahren verloren sein, schätzt Bohner. Damit | |
| sie weiterbestehen – und damit die Region nicht einen Teil ihrer Identität | |
| und einen wichtigen Wirtschaftsfaktor verliert –, müssen Landwirte sie zum | |
| richtigen Zeitpunkt mähen oder Tiere darauf weiden lassen. Doch viele | |
| Kleinlandwirte im Ausseerland hören auf, ihre Wiesen zu bewirtschaften. | |
| Diese Entwicklung ist ein nationaler Trend: In den vergangenen 30 Jahren | |
| halbierte sich in Österreich die Zahl der landwirtschaftlichen Betriebe. | |
| Auch in Deutschland hören jedes Jahr Tausende Betriebe auf, [2][vor allem | |
| kleine]. Größere Betriebe kaufen deren Flächen. Seit 2010 ist die im Mittel | |
| genutzte Fläche pro Betrieb in Österreich von 43 auf 45 Hektar gestiegen; | |
| in Deutschland sogar von 56 auf 65 Hektar. Franz Steinegger will dabei | |
| nicht tatenlos zusehen. | |
| Der 45-Jährige sitzt in der Stube seines Bauernhauses und betrachtet die | |
| schwarz-weißen Fotografien an der Wand. Darauf: Frauen mit weißen | |
| Kopftüchern und hölzernen Rechen auf Wiesen vor sonnenbeschienenen | |
| Felswänden. Und Männer vor Rindern, die mit Stroh beladene Karren ziehen. | |
| Steinegger ist nicht nur Bürgermeister der Gemeinde Grundlsee. Er betreibt | |
| auch eine Werbeagentur mit seiner Frau, bewirtschaftet zehn Hektar Land und | |
| hält fünf Pinzgauer Mutterkühe mitsamt Kälbern. Diese weiden auf denselben | |
| Wiesen und Almen wie die Tiere seiner Vorfahren – seit dem 16. Jahrhundert. | |
| „In den 1990ern gab es hier noch rund 50 Kleinbauernfamilien. Heute sind es | |
| nur noch 23“, sagt der Politiker der Österreichischen Volkspartei (ÖVP) und | |
| warnt: „Wir stehen an einem Kipppunkt. Tun wir heute nichts, werden bald | |
| alle aufgehört haben.“ | |
| ## Grundeinkommen als Existenzsicherung | |
| Bauern seien nicht arm, betont Steinegger. Denn sie besitzen Grund und | |
| Höfe. Doch die meisten Kleinlandwirte brauchen einen Vollzeitberuf, um | |
| weiter Vieh halten zu können. Oder eben finanzielle Unterstützung. Rund 900 | |
| Euro pro Hof und Monat, so Steineggers Berechnungen, wären nötig, um die | |
| Viehhalter zu erhalten. Eine Art [3][Grundeinkommen] für Kleinlandwirte, | |
| das er als Existenzsicherung bezeichnet. | |
| Das würde sich aus seiner Sicht auch für die Gemeinde rechnen. Landwirte zu | |
| haben sei immer günstiger, als keine zu haben. Andere Gemeinden müssten die | |
| Landschaftspflege – etwa das Mähen von Wiesen – aus Gemeindemitteln zahlen, | |
| weil die Landwirte fehlen. | |
| Von dieser Landschaftspflege profitiert auch der Tourismus. Man könnte, so | |
| Steineggers Idee, die Profiteure bitten, dafür etwas Geld zu spenden. | |
| Aus diesen Überlegungen heraus gründete er im Dezember 2020 den „Verein | |
| Landschaftspflegefonds“. Seine Idee ist simpel: Er sammelt Gelder und | |
| verteilt sie nach einem Schlüssel, der Faktoren wie Hangneigung oder Anzahl | |
| der Weidetiere einbezieht. 23 Kleinbauernfamilien in Grundlsee werden | |
| unterstützt; 2023 waren es rund 40.000 Euro. Das Geld stammte von 70 | |
| Spendern, fünf davon Großspender. | |
| Elisabeth Klanner hat einmalig rund 1.600 Euro aus dem Fonds erhalten. Sie | |
| hat 17 Fleckvieh-Rinder, davon fünf Kühe, deren Milch sie in der eigenen | |
| Käserei verarbeitet. „Wenn die kleinen Landwirte aufhören, wird die | |
| Landschaft zuwachsen“, sagt sie. „Dann wird es hier nicht mehr so schön | |
| sein.“ Im Mai pflücken Menschen auf ihren Wiesen Narzissen für das Fest, im | |
| Sommer grast ihr Jungvieh auf der Gössleralm und hält sie so frei von | |
| Büschen und jungen Bäumen. Das hilft wiederum dem Tourismus. | |
| Klanner bewirtschaftet den Hof hauptberuflich, mit Hilfe ihres | |
| pensionierten Vaters und ihres Partners, der als Jäger arbeitet. Die Arbeit | |
| mit den Tieren bringe ihr viel Freude, zugleich sei Landwirtschaft | |
| „grenzenlos viel Arbeit“. Man müsse immer vor Ort sein, jeden Tag mehrmals | |
| zum Vieh. Das Geld aus dem Fonds gebe ihr Sicherheit in dem, was sie tut. | |
| Zu wissen, dass Menschen ihre Arbeit wertschätzen, indem sie einzahlen, | |
| bedeute ihr viel. | |
| ## Keine finanziellen Zugeständnisse | |
| Ähnliche Initiativen gibt es auch in Deutschland, etwa im Münstertal im | |
| Schwarzwald, wo es noch viele Kleinlandwirte gibt. Dort finanziert die | |
| Kurtaxe die Landschaftspflege mit. „Aber das sind meist sehr überschaubare | |
| Nischen“, erklärt Norbert Röder, der am Thünen-Institut in Braunschweig zu | |
| Agrarpolitik forscht. Man könne damit Maßnahmen „flexibel testen“, bevor | |
| sie breiter umgesetzt werden. Größere Hebel sieht er aber auf regionaler | |
| und nationaler Ebene. | |
| Die so wichtige extensive Landwirtschaft – also die Bewirtschaftung ohne | |
| intensive Düngung, häufiges Mähen und schwere Maschinen – sei etwa durchaus | |
| „über eine nationale Gestaltung der EU-Agrarmittel förderbar“, sagt Röde… | |
| Er verweist auf die erste Säule, die Direktzahlungen an Landwirte je nach | |
| Hektar regelt. | |
| Hier würden neue „Öko-Regelungen“ jene Landwirte belohnen, die freiwillig | |
| Umweltschutzmaßnahmen umsetzen. Zudem hätten Österreich und Deutschland | |
| eine „sehr starke zweite Säule“. Diese ermöglicht Förderprogramme für e… | |
| nachhaltige Bewirtschaftung. [4][Beide Säulen] könne man „relativ frei | |
| ausgestalten“, erklärt Röder. | |
| Auch ÖVP-Politiker Franz Steinegger hat es bereits auf nationaler Ebene | |
| versucht. Der Grundlseer Bürgermeister möchte, dass sein Konzept möglichst | |
| oft kopiert wird, und plädiert für Umschichtungen von Steuern und | |
| Förderungen. Dafür sprach er mit hochrangigen Parteikollegen, etwa mit | |
| Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig, mit dem ehemaligen steirischen | |
| Agrarlandesrat Johann Seitinger sowie mit Vertreter*innen der | |
| Landwirtschaftskammer. Allerorts erhielt er Lob, aber keine finanziellen | |
| Zugeständnisse. Der Strukturwandel – kleine Betriebe schließen und größere | |
| wachsen – sei eine normale Entwicklung. | |
| ## Die Initiative findet Nachahmer | |
| Während der politische Wille weiterhin fehlt, wächst die | |
| Grassroots-Initiative. „Wir sind Landschaftspfleger“, sagt etwa Anneliese | |
| Schilcher, die mit ihrer Familie zehn Hektar bewirtschaftet und sechs | |
| Ochsen und vier Pferde hält. 2023 gründete sie den ersten Ableger des | |
| Landschaftspflegefonds in Bad Goisern, 25 Autominuten von Grundlsee | |
| entfernt. Auch dort hat sich seit den späten 1990ern die Zahl der | |
| Kleinlandwirte halbiert. „Ohne einen Job geht es einfach nicht“, sagt | |
| Schilcher. Nur einer der rund 100 verbliebenen Landwirte mache dies im | |
| Vollerwerb. | |
| Ohne die Hilfe von Franz Steinegger hätte sie nicht gegründet, erzählt | |
| Schilcher, die auch Gemeindevorständin der sozialdemokratischen SPÖ ist. | |
| „Wir müssen zusammenhalten für die Bauern“, sagt Schilcher. Alles andere, | |
| etwa die Parteifarbe, sei unwichtig. | |
| Im November 2024 werden die 60 Mitglieder des Landschaftspflegefonds Bad | |
| Goisern erstmals Geld bekommen. 900 Euro im Monat erreiche man nicht, man | |
| habe aber eine beträchtliche Anzahl an Geldern von Privatpersonen, Firmen | |
| und drei Banken gesammelt. 9.000 Euro spendete der Tourismusverband Inneres | |
| Salzkammergut. | |
| „Die Kulturlandschaft muss nicht nur für unsere Gäste, sondern auch für | |
| unsere Kinder erhalten bleiben, um weiter eine erfolgreiche | |
| [5][Tourismusdestination] zu sein“, so dessen Geschäftsführer Christian | |
| Schirlbauer. | |
| 29 May 2024 | |
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| ## AUTOREN | |
| Laura Anninger | |
| Lukas Bayer | |
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