# taz.de -- Der neue Kardinal Reinhard Marx: Ein frommer Bub will nach oben | |
> Der Erzbischof von München, Reinhard Marx, ist von Papst Benedikt XVI. | |
> zum Kardinal ernannt werden - mehr kann man, außer Papst selbst, in der | |
> katholischen Weltkirche nicht werden. | |
Bild: Der Erzbischof von München, Reinhard Marx, wird Kardinal. | |
GESEKE taz | "Das ist meine Fünf-Zimmer-Wohnung", sagt Heinrich Wienken an | |
der Tür seiner 12-Quadratmeter-Bleibe des Pflegezentrums "Haus Maria" in | |
Geseke: Das Bett sei das Schlafzimmer, das Sofa der Ruheraum, Sessel und | |
Fernseher seien das Wohnzimmer, der winzige Schreibtisch das Büro und das | |
Regal mit der Mutter Gottes vor der Plastikrose die Sakristei. Pastor | |
Wienken, 88 Jahre alt, kennt den am Mittwoch frisch nominierten Kardinal | |
aus Deutschland, den Erzbischof von München, Reinhard Marx, schon ewig. | |
"Der wird alles, der Kerl", sagt der katholische Priester im Ruhestand. | |
Erst im Juli war Marx hier im Zimmer, um seinem alten Heimatpriester die | |
Krankensalbung zu geben. Dass er eines Tages als Münchner Erzbischof auch | |
Kardinal werden würde, "war für mich keine Frage", sagt Wienken voller | |
Freude. "Er war das beste Pferd im Stall von elf Priestern, die aus Geseke | |
kommen." | |
Geseke - wer wissen will, wer dieser Reinhard Marx ist, der nun ab seiner | |
Kreierung als Kardinal im November in Rom auch Papst werden kann, der muss | |
hierher fahren. In dem 12.000-Seelen-Städtchen bei Paderborn wurde Marx | |
geboren, hier lebte er bis zu seinem Abitur: Die wichtigen ersten 19 Jahre | |
seines Lebens verbrachte der 57-Jährige in diesem traditionsreichen, sehr | |
katholischen Ort - und wenn es jemanden gab, der ihn religiös prägte und | |
förderte, dann war es Pastor Wienken. Marx, meint Wienken, sei | |
"emporgestiegen wie ein Rakete". Das habe ihn nicht gewundert, "die fünf | |
Talente, die hat er", sagt er in Anspielung an ein Gleichnis Jesu. "Wohin | |
er wollte, da kam er hin." Ein Mann will nach oben - das gilt für Reinhard | |
Marx von Anfang an. Pastor Wienken erlebte ihn bereits als Obermessdiener | |
in der Geseker Stiftskirche - und schon damals: Der hat "keine Scheu vor | |
großen Leuten". Marx zeichnete ein "gesundes Strebertum" aus, sagt Wienken. | |
Marx sei eben immer herausgeragt - "und das wollte er auch". Einmal habe er | |
ihn gefragt, ob er denn bald Bischof werde. Darauf Marx: "Ich habs schon in | |
der Tasche." Schon früher hat Wienken ungefragt einmal gesagt, es sei | |
"nicht ganz unmöglich", dass Marx Papst werde. Ein Papst aus Geseke? | |
Da sollte man mal die Kirche im Ort lassen. Aber frappierend ist schon, wie | |
geradlinig und zielstrebig der Lebensweg von Marx ist. Das zeigt sich beim | |
Besuch im üppig mit religiöser Kunst und Kitsch geschmückten Haus von | |
Werner Marx. Der Werksdirektor eines Zementwerks ist unverkennbar der | |
Bruder von Reinhard und zwei Jahre älter als der nominierte Kardinal. Wird | |
nun eine Flasche Sekt geköpft wegen der kirchlichen Beförderung seines | |
Bruders? "Ich zünde lieber ne Kerze an", sagt Werner Marx, "die braucht er | |
dringender." Werner erzählt von Reinhards und seinem Vater, einem | |
ausgebildeten Schlossermeister, der SPD-nah und zeit seines Lebens | |
IG-Metall-Mitglied war. Dem Vater war es Werner zufolge "nicht so recht", | |
dass Reinhard unbedingt katholischer Priester werden wollte - aber dieser | |
Entschluss, offenbar schon mit etwa neun Jahren getroffen, war in Marx | |
Clique eine Selbstverständlichkeit: "Es gab keine andere Möglichkeit", sagt | |
Werner. Schon als Kinder, so heißt es, habe Marx bei Ritterspielen | |
natürlich den Bischof gegeben. | |
Die Berufung zum Priesteramt war Reinhard Marx offenbar schon früh klar - | |
so klar, dass auch das Frauen-Problem irgendwie irrelevant zu sein schien. | |
Werner glaubt, dass Reinhard vielleicht mal "eine Freundin gehabt" habe, so | |
mit 18 oder 19, ist sich aber nicht sicher. Dem widerspricht Heidrun | |
Schnieders, ein Mitglied von Marx Freundeskreis von damals: Nein, da sei | |
nichts gewesen. | |
Sie kramt ein Foto herbei, das sie als Tanzpartnerin von Reinhard Marx bei | |
einer Polonaise Anfang der siebziger Jahre zeigt. Noch heute, das ist | |
häufiger zu hören, gilt Marx als sehr guter Tänzer. Und bei seiner | |
Amtseinführung in Trier vor seiner Zeit in München tanzte er auch mit | |
Heidrun - nachdem er sich vorher versichert hatte, dass die Fernsehkameras | |
weg waren, wie seine Freunde beobachtet haben. Überhaupt, erzählt Heidrun, | |
sie hätten in ihrer wohl 20-köpfigen Clique "gefeiert ohne Ende" - und | |
Reinhard gehörte häufiger zu den Ausdauerndsten. Schon als reiferer | |
Priester sei er einmal mit seinem Messdiener in der ersten Reihe eines | |
Konzerts von Marius Müller-Westernhagen zu finden gewesen. Heidrun lobt | |
ihn, er sei weiter "immer er selbst". Und nun Kardinal? "Dass er das Zeug | |
dazu hat, das wissen wir alle", meint die alte Freundin. Und "ganz | |
theoretisch", sagt sie lachend, könne er ja nun auch Papst werden. | |
Marx ist zwar kirchenpolitisch klar konservativ und eindeutig "auf | |
Papstlinie", wie mehrere Geseker Freunde fast wortgleich sagen - politisch | |
aber eher links einzuordnen, was überall im Städtchen zu hören ist. | |
Tatsächlich gehört Marx zu den Hauptautoren des insgesamt | |
kapitalismuskritischen "Sozialwortes" der Kirchen. Bei einer | |
Pressekonferenz 2006 in Berlin sagte Marx unvermittelt, an der Aussage "der | |
Kapitalismus ist ein Ethik-Fresser" sei schon was dran. | |
In Werner Marx Wohnzimmer ist in einer Ecke ein Foto zu sehen, darauf Papst | |
Benedikt XVI. und Reinhard Marx, beide strahlen sich an. Joseph Ratzinger | |
ist ein Vorbild von Reinhard Marx, er hat ihn schon in Vorlesungen gehört, | |
und fast legendär ist ein dreitägiger Aufenthalt Ratzingers im Trierer | |
Bischofshaus anlässlich einer kirchlichen Tagung. Dabei soll Marx seinen | |
Duzfreund mit einem "bayerischen Abend" nachhaltig beeindruckt haben. Auch | |
hier drängt sich der Eindruck auf: Da will ein Mann mehr werden. | |
Dazu passt auch das, was Friedel Bergmann nur ein paar Straßen weiter in | |
Geseke sagt. Der 54-jährige Onkologe ist der "Oberst" der früher rein | |
katholischen "St. Sebastianus Schützenbruderschaft 1412 Geseke e. V.". Er | |
zitiert einen Satz des Bürgermeisters: "In Geseke kommt der Oberst der | |
Schützen vor dem Bürgermeister." Bergmann war und ist ein alter Freund von | |
Marx: in der Schule, bei den Messdienern, bei den "Unitariern", einer | |
katholischen Studentenverbindung, und bei den Schützen von Geseke. Stramme | |
180 Mann reisten zu Marx Amtseinführung nach München. Bergmann machte vor | |
Marx Meldung - "einfach nur grandios", schwärmt er. Alles endete im | |
Augustiner-Keller, wo auch Marx noch aufschlug, einschließlich erster | |
Jodelversuche des Erzbischofs. | |
Bergmann führt durch das Schützenhaus, das bei Festen bis zu 4.500 Gäste | |
fasst. "Der schießt sehr gut", erzählt Bergmann über seinen Schützenbruder | |
Marx, aber das Ziel, ein mächtiger Holzvogel, ist beim jährlichen | |
Schützenfest kaum zu verfehlen. Als Jugendlicher und junger Mann habe Marx | |
für den Reform- und Konzilpapst Johannes XXIII. so geschwärmt wie andere | |
für die Stones oder die Beatles. Heute dagegen, das erzählen viele, erwärme | |
sich Marx für die tridentinische, vorkonziliäre Messe auf Latein. Auch die | |
von Marx verordnete Suspendierung des katholischen Priesters Gotthold | |
Hasenhüttl, der es 2003 gewagt hatte, beim Ökumenischen Kirchentag in | |
Berlin evangelischen Mitchristen die (katholische) Kommunion auszuteilen, | |
findet Bergmann "knallhart - das hat keiner verstanden". | |
Über Themen wie diese sei mit seinem Freund, etwa bei Schützenfesten, "ein | |
bisschen schwer zu sprechen". Und offenbar ahnen seine Schützenbrüder auch | |
nur zu genau, was er davon hält. Immerhin, auch als Münchner Erzbischof | |
komme Marx weiterhin zum jährlichen Schützenfest, schwärmt Bergmann, ein | |
"Ehrenschuss" inklusive. Und nun müsse eine Delegation der | |
Schützenbruderschaft "auf jeden Fall" zur großen Kardinalsweihe nach Rom | |
fahren: "Wir sind gerade am Planen", sagt Bergmann. | |
Ein letzter Gesprächspartner, Dietmar Fries. Der pensionierte Pastor war in | |
der Oberstufe des Geseker Gymnasiums Marx Religionslehrer. Er erinnert sich | |
an eine religiöse Schulwoche, bei der Marx einen Franziskaner-Pater mit | |
gezielten, scharfen Fragen in die Ecke trieb, weil der - anders als Marx - | |
leichte Zweifel daran andeutete, ob es Engel, Wunder und den Teufel gebe: | |
"Reinhard vertrat die strenge Lehre der Kirche", erzählt Pastor, "er fühlte | |
sich irgendwie mitverantwortlich dafür, dass in seiner Klasse die | |
Glaubensüberzeugung nicht erschüttert wird." | |
Fries beschreibt Marx als "eine dominierende Figur in der Klasse und der | |
Oberstufe". Marx war Schulsprecher. Mit ihm und zwei anderen Jungs fuhr der | |
Pastor auf Marx Wunsch hin nach dem Abitur in Fries Käfer nach Rom, des | |
Vatikans wegen. "Er hatte gar keine Scheu vor großen Persönlichkeiten. Er | |
hatte ein gewisses Streben nach oben", sagt Fries, "er wusste immer, wo es | |
wichtig war, zu erscheinen." Schillernd ist ein Satz, den er noch von Marx | |
im Kopf hat: "Er sagte zu mir: Du bist per Zufall in mein Leben gekommen." | |
Und nun wurde sein früherer Schüler Reinhard Kardinal. "Das ist schon eine | |
dolle Karriere", sagt sein früherer Relilehrer. Ob er nach Rom zur | |
Inthronisierung fahren werde? "Das wäre ne wunderschöne Sache", sagt Pastor | |
Fries. "Vielleicht kann ich Reinhard ja mal anrufen." | |
20 Oct 2010 | |
## AUTOREN | |
Philipp Gessler | |
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