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# taz.de -- press-schlag: Ein kafkaesker Satz
> Wie Franz Kafka fast einmal Leichtathlet geworden wäre, dann aber doch
> bei der Literatur blieb
Kafka ist nicht logisch, er ist kafkaesk. In einem Stadion kann man ihn
sich allenfalls auf der Laufbahn vorstellen, wo er mit seinem hageren
Körper Runde um Runde absolviert und das Ziel doch ewig unerreichbar bleibt
– wie „Das Schloss“ in seinem gleichnamigen berühmten Roman.
Was hat es damit auf sich, wenn der große und tragische Schriftsteller im
Tagebuch notiert: „Wenn ich den großen Wunsch habe, ein Leichtathlet zu
sein, so ist das wahrscheinlich so, wie wenn ich wünschen würde, in den
Himmel zu kommen und dort so verzweifelt sein zu dürfen wie hier.“
Auch im Himmel also gibt es für ihn kein Ziel, jedenfalls kein
erreichbares, allenfalls das, die Verzweiflung ad infinitum fortführen zu
können in einem ewigen Kreislauf des Unglücks. Das Unerreichbare ist Kafkas
große Obsession. Eine Erlösung, selbst im Himmel, ist ihm nicht
vorstellbar.
Überraschend ist die sportliche Metaphorik, die er in seinem Eintrag
anwendet. Dass er im richtigen Leben leichtathletische Ambitionen gehabt
hätte, ist nicht überliefert. Kafka wünscht sich also, verzweifelt sein zu
dürfen. Er hat nicht etwa Angst davor, verzweifelt sein zu müssen. Die
Erlösung kommt bei Franz Kafka nicht vor, immer nur die Steigerung des
Unglücks.
Ist das sportliche Bild ein Zufall? Oder eine Art absurden Humors, die
heute eben unter dem Adjektiv kafkaesk subsumiert wird? Kafka wollte sich
im Schreiben verstecken, er hatte Angst, sich zu entblößen, vielleicht war
seine größte Furcht, dass seine Leser mehr von ihm verstehen als er selbst.
Denn wirklich verstehen lässt sich der Satz nicht.
Ist er wenigstens schön? Für den, der das Geheimnisvolle in der Kunst
liebt, bestimmt. Kafkas Denken bleibt ein Rätsel, dem man nicht den
Schleier vom Gesicht ziehen kann.
Und der Sport? Im selben Tagebuch schreibt Franz Kafka: „Man kann ein Leben
nicht so einrichten wie ein Turner den Handstand.“ Nun könnte man sagen,
dass Kafkas ganzes Leben, das nur 42 Jahre währte, ein einziger Handstand
oder besser Kopfstand gewesen wäre. Eine Lebensart, die man nicht allzu
lange aushält, wobei Kafka selbst glaubte, sein Leben sei über den Zustand
vor der Geburt nie hinausgelangt.
Zu seinem Körper hatte er ein besonderes Verhältnis. Der Hypochonder hielt
streng Diät. An seine Mehrfach-Verlobte Felice Bauer schrieb er: „Ich esse
dreimal im Tag, in der Zwischenzeit gar nichts, aber nicht das Geringste.
Früh Kompot, Cakes und Milch. Im Ganzen etwas wenig.“
Kafka betrieb lange Zeit geradezu obsessiv Gymnastik. Sein „Guru“ war dabei
der dänische Sportler und Gymnastiklehrer Jörgen Peter Müller, der eine Art
skandinavischer Vorläufer der Fitnessbewegung war und schon 1910 zum Thema
ein vielbeachtetes Buch verfasste. Kafka absolvierte dieses Programm
diszipliniert, sein Körper mag ihm dabei ein Instrument gewesen sein, das
er zu beherrschen trachtete, wo er sich doch auf so vielen anderen Gebieten
selbst nicht für lebenstauglich hielt.
An Wettkämpfen nahm der erst postum richtig berühmt gewordene
Schriftsteller nie teil, und die Diät mag ihm auch eine Form der
Selbstkasteiung gewesen sein – darin war der Autor ja nicht allein in dem
„Prozess“ ein unerreichter Meister. Schon in der Erzählung „Ein
Hungerkünstler“ richtet sich seine Energie gegen sich selbst.
Kafka schwamm gerne und machte lange Spaziergänge durch Prag. Seine
eigentliche Art der Fortbewegung aber war eine Innere; dass er es indes
beim Schreiben zur Meisterschaft gebracht hatte, war ihm nicht bewusst,
auch wenn er einmal schrieb: „Ich interessiere mich nicht für Literatur,
ich bestehe aus Literatur.“
Paul Frommayer
7 May 2024
## AUTOREN
Paul Frommeyer
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