# taz.de -- Wir sind keine Bulli-Schweine | |
Ich hatte einen Traum, fast wäre er wahr geworden, aber ich habe einen | |
Moment zu lang gezögert, und dann war er futsch. Lange dachte ich: großer, | |
großer Fehler, doch inzwischen weiß ich: Nein, es war gut so. | |
Wir hätten einen wunderbaren roten VW-Campingbus von einer Freundin | |
übernehmen können. Wie ich sie kenne, zu einem echten Freundschaftspreis. | |
Fast neu sah der Bulli aus, bestens ausgestattet, mit Küche und Markise und | |
ferngesteuerter Heizung und super Soundanlage. Einfach losfahren können, | |
bis an die Steilküste irgendeines fernen Meeres, das Dach ausklappen, die | |
Betten richten, noch einen Drink aus der Kühlbox nehmen, auf gemütlichen | |
Matratzen tief schlafen, durch das Dachfenster fließt das milde Licht des | |
südlichen Mondes, träumen, morgens mit Blick aufs Meer aufwachen, mit dem | |
Faltrad mal eben Brötchen aus der Boulangerie im nahen Dorf holen, Kaffee | |
aufbrühen – es ist ja wirklich alles da in so einem Bulli –, und dann | |
runter zum Strand, der verschwiegene Weg dorthin ist gleich nebenan. | |
Ich spielte ernsthaft mit dem Gedanken, den Bulli zu kaufen, weil ich so | |
urlauben wollte wie die happy families in den VW-California-Prospekten, die | |
immer – wirklich immer – an Steilküsten, am Ufer von Bergseen, an Klippen | |
mit Blick auf glitzernde Metropolen – Los Angeles? – stehen und verträumt | |
in die Welt hinausblicken, einen selbst geangelten Fisch grillen, chillig | |
auf Sonnenstühlen sitzen, die so praktisch in der Heckklappe versteckt | |
sind. | |
Die Freundin fragte, was wir zahlen wollten. Ich fragte, was sie haben | |
wolle. Sie sagte, sie wisse sehr genau, was der Bus wert sei, aber darum | |
gehe es nicht. Ich traute mich nicht, zögerte, sagte, ich würde es mir | |
nochmal kurz überlegen wollen. | |
Als ich die Freundin ein paar Tage später anrief, um nochmal zu reden, | |
hatte sie den Bus gerade beim Händler in Zahlung gegeben gegen einen | |
praktischen Kleinwagen mit Ladefläche. Ich rief dort an, fragte nach dem | |
roten VW California – allein der Name, in diesem Moment klang er so | |
verheißungsvoll –, „der rote, ach, der ist längst verkauft. Das geht bei | |
den Californias ruckizucki“, sagte der Händler im Brandenburger | |
Autoverkäufersound. | |
Mist, dachte ich, großer Fehler. In folgenden Urlauben träumte ich von dem | |
roten California, trauerte, jedoch immer ein bisschen weniger. Die Betten | |
darin sollen gar nicht so bequem sein. Wenn man kocht, muss man knien, der | |
Raum ist zu niedrig. Campen an Steilküsten ist meist gar nicht erlaubt, das | |
gaukeln die Werbebilder nur vor. | |
Die vermeintliche Freiheit des Bulli-Reisens schränkt ein: Hat man einen, | |
muss man quasi mit ihm Urlaub machen, damit sich die Anschaffung auch | |
lohnt. All unsere Urlaube in Herbergen und Hotels, Pariser, Utrechter, | |
Münsteraner Airbnb-Wohnungen: Wir hätten sie nicht erlebt, sondern hätten | |
uns frühzeitig auf Campingplätzen anmelden müssen. Frühzeitig, weil die | |
wegen des Camper-Booms jetzt alle so voll sind. Seit 2017 hat sich die | |
[1][Zahl der in Deutschland zugelassenen Camper verdoppelt]. Erste | |
Bulliisten ziehen zurück ins Hotel, weil es ihnen auf den Campingplätzen zu | |
eng geworden ist. Man hört den Nachbarn abends Mücken totschlagen. | |
In den Osterferien neulich wollten wir einen Bulli leihen und nach Bayern | |
reisen. Als wir erfuhren, dass alle Campingplätze noch zu hatten, waren wir | |
erleichtert und haben ein Hotel gebucht. | |
Freunde verkaufen ihren Bus gerade. Ich will ihn nicht. | |
Felix Zimmermann | |
4 May 2024 | |
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[1] https://www.adac.de/news/reise-wohnmobile-zulassungen/ | |
## AUTOREN | |
Felix Zimmermann | |
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