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# taz.de -- Woran es krankt
> „Baby I’m sick tonight“: In den Sophiensaelen kombiniert Olivia Hyunsin
> Kims Stück über chronische Krankheiten Tanz und Stand-up
Von Kim Tadday
„Mir haben Räume gefehlt als queere Woman of colour“. Der Satz stammt von
der Performancekünstlerin Olivia Hyunsin Kim, die auch unter dem Namen
ddanddarakim arbeitet, sie sagt ihn bei der Premiere ihres Stücks „Baby I’m
sick tonight“ in den Sophiensaelen am Donnerstagabend. Als Choreografin
fokussiert sich Kim auf queer-feministische Perspektiven, kritisiert
gleichzeitig patriarchale und postkoloniale Strukturen, 2019 hat sie den
Kunstpreis der Amadeu Antonio Stiftung gewonnen. „Baby I’m sick tonight“
ist eine experimentelle Aufführung, die Tanz, Stand-Up und musikalische
Einlagen kombiniert, um über ein oft noch tabuisiertes Thema zu sprechen:
chronische Krankheiten. Die Zuschauer*innen werden auf eine emotionale
Reise mitgenommen, während der sich Kim in englischer und deutscher Sprache
im Wechsel, begleitet von Gebärdensprache, mit oft übersehenen
Krankheitsgeschichten von Flinta-Personen (Frauen, Lesben,
intergeschlechtliche, nicht binäre, transgender und agender Personen),
People of Colour und queeren Personen auseinandersetzt.
Zu Beginn ist die Protagonistin zu sehen, wie sie immer wieder hinfällt und
aufsteht, während im Hintergrund Geräusche zu hören sind, die an ein Husten
erinnern. Ihr buntes Kostüm und eine haarige Perücke, die Kims Identität im
ersten Moment verschleiert, deuten bereits auf den Kern des Stückes hin:
auf die Frage, was es heißt, nicht in konventionelle gesellschaftliche
Normen zu passen. Auf der Bühne stehen Formen, die einem Eisberg ähneln,
aufblasbare Figuren schieben sich dazwischen, lesbar als Symbole für die
Unkontrollierbarkeit einer chronischen Krankheit.
Tänzerisch stellt Kim in diesem Setting die verschiedenen Facetten von
Krankheiten dar, die heiteren wie die erschöpfenden Momente. In humorvollen
Stand-up-Einlagen teilt sie persönliche Erfahrungen mit patriarchalen
Rollenbildern. Sie erzählt von ihrem Widerstand gegen konservative und
religiöse Normen, indem sie sich früh für einen Karriereweg entscheidet,
und wie das in Bezug auf ihre Erkrankung gegen sie verwendet wird: Ihre
„Selbstständigkeit“ wird zur Rechtfertigung, ihr ihre körperlichen
Schmerzen abzusprechen, ihre später diagnostizierte Endometriose als
„Karrierefrauenkrankheit“ kleinzureden. Ernst genommen wird diese aber auch
von medizinischer Seite nicht. Deutsche Ärzte spielten ihre Schmerzen
herunter, koreanische rieten ihr, Kinder zu bekommen bevor ihre
„biologische Uhr“ abgelaufen sei, so erzählt sie es.
Schockierend sind auch die anderen Geschichten, die Kim im Verlauf
schildert, in denen die Symptome, unter denen Frauen leiden, von
Ärzt*innen abgetan werden und diese infolge dessen mit schwerwiegenden
körperlichen Erkrankungen zu kämpfen haben. Ganz still wird es im Publikum
etwa, als sie von einer fiktiven Frau in einer Fertilitätsklinik erzählt,
die vor einer Operation anstatt Schmerzmittel Salzwasser verabreicht
bekommt.
Später schlüpft Kim in die Rolle einer Ärztin, die sich im Medizinstudium
zu wenig mit Endometriose befasst hat und daher ihren Patientinnen
keine Diagnose stellen kann. Von verschiedenen Seiten nähert sich Kim ihrem
Thema, stellt dabei vor allem die Stärke der Betroffenen heraus, die sich
trotz Fehldiagnosen nicht aus dem sozialen Leben zurückziehen und auf
Missstände in der Medizin hinweisen. Nicht nur um Endometriose geht es
dabei, thematisiert wird etwa auch die strukturelle Auslöschung taubstummer
Menschen während des NS-Regimes.
Die vielschichtigen Diskriminierungsformen adressieren nicht nur das Fehlen
eines gemeinsamen Raums, sondern zugleich eine kollektive Identitätsfrage.
„Baby I’m sick tonight“ ist eine inklusive Performance, die diskriminiert…
Menschen eine Stimme gibt und Betroffenen vermittelt, dass sie nicht allein
sind, ihre Schmerzen nicht schweigend ertragen müssen. So endet auch das
Stück: Mit einem angepassten Liedtext zum Song „What’s up“ der Band 4 Non
Blondes lädt Kim das Publikum zum gemeinsamen Singen ein.
29 Apr 2024
## AUTOREN
Kim Tadday
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