# taz.de -- „Putins Ziel ist erreicht: Die Leidenschaft ist weg“ | |
> Ilja Jaschin, Anführer junger russischer Oppositioneller, erwartet keine | |
> weiteren Proteste gegen die Verurteilung des Ex-Yukos-Vorsitzenden | |
taz: Herr Jaschin, neun Jahre Haft für Michail Chodorkowsky lautet das | |
Verdikt des Moskauer Gerichts. Rechnen Sie mit wütenden Reaktionen? | |
Ilja Jaschin: Es wird natürlich Kritik geben, viele negative Kommentare in | |
russischen und ausländischen Medien. Doch das ändert nichts daran, dass die | |
russische Regierung ihr Ziel erreicht hat: Die Leidenschaften sind | |
erloschen, und die Urteilsverkündung wird keine Massenhysterie | |
heraufbeschwören. Alle sind schon müde. Wäre das Urteil wie geplant am 16. | |
Mai verkündet worden, hätte man alles Mögliche erwarten können, bis hin zum | |
Sturm auf das Meschtschanski-Gerichtsgebäude. | |
Der Fall Chodorkowski ist noch nicht zu den Akten gelegt. Rechnen Sie mit | |
weiteren Verhaftungen von Oligarchen? | |
Eigentlich nicht. Der Fall Chodorkowski war ein Schauprozess und eine | |
Warnung für die anderen. Ihnen soll die Lust vergehen, es Chodorkowski | |
nachzumachen. Diese Abrechnung soll den großen Unternehmern Furcht | |
einflößen und sie davon abschrecken, sich in die Politik einzumischen und | |
oppositionelle Kräfte zu finanzieren. Stattdessen sollen sie ihr Geld im | |
Interesse des Kreml investieren. | |
Ihre Bewegung hat auch an der Protestkundgebung vor dem Gericht | |
teilgenommen. Haben Sie das Gefühl, dass damit etwas erreicht werden | |
konnte? | |
Wir fühlten uns an die Ukraine erinnert. Die Kundgebungen vor dem Gericht | |
waren wirklich nationale Proteste. Vertreter aller demokratischen | |
oppositionellen Kräfte waren dabei mit Fahnen, T-Shirts und Plakaten. Die | |
Einsatzleiter der Polizei- und Einsatzkräfte des Innenministeriums aber | |
verloren die Nerven. Sie haben ihre Leute auf die Demonstranten gehetzt, | |
und es kam zu heftigen Zusammenstößen. Viele wurden verprügelt und wahllos | |
verhaftet: Studenten, alte Frauen, Behinderte. Gegen jeden Verhafteten | |
wurde Anklage in zehn Punkten erhoben. Die sind aber alle erfunden und | |
konstruiert. Deshalb werden wir jetzt gegen das Innenministerium klagen. | |
Später wurde vor dem Gericht nicht mehr für, sondern gegen Chodorkowski | |
protestiert. | |
Das waren Statisten aus den Mosfilm-Studios. Das haben Journalisten | |
nachgewiesen. | |
Trotz der Kundgebungen ist die Zahl der Putin-Kritiker in Russland sehr | |
gering. Welche Chancen sehen Sie, um das Protestpotenzial zu mobilisieren? | |
Die Chancen dafür stehen gut, und die Staatsmacht unterstützt uns dabei. | |
Denn: Je mehr Knüppel man uns zwischen die Beine wirft, desto mehr wachsen | |
die Chancen für eine demokratische Entwicklung in Russland. Vielleicht | |
klingt das paradox, aber jeder Angriff fordert eine Gegenreaktion heraus. | |
Und je stärker die Staatsmacht auf die Zivilgesellschaft Druck ausübt, | |
desto mehr schließt sie sich zusammen. | |
INTERVIEW: XENIA MAXIMOVA | |
1 Jun 2005 | |
## AUTOREN | |
XENIA MAXIMOVA | |
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