# taz.de -- nabelgeschaut: Die ganz eigenen Krisen der taz nord | |
> Eine taz-Familienaufstellung: Die Nord-Ausgaben der taz wurden nie alt | |
> genug für eine Midlife-Crisis. Sie erfanden sich immer wieder neu | |
Wenn die taz in der Midlife-Crisis ist, was ist dann mit der taz nord? Nun, | |
es gab schon immer Ungleichzeitigkeiten zwischen dem Mutterschiff und | |
seinen regionalen Beibooten. | |
Das fängt bei der taz hamburg an, die 1981 das Licht der Welt erblickt, als | |
Zweitgeborene der taz, die zwar auch gerade erst gehen lernt, aber | |
überraschenderweise schon gebärfähig ist. Manchmal fühlt sich die taz | |
hamburg, als wäre sie die Stieftochter der taz, nur die Stiefschwester der | |
erstgeborenen taz berlin. Ein Bastard, der manchmal umso lauter quaken | |
muss, um sich in der Familie Gehör zu verschaffen. | |
Doch fünf Jahre später, 1986, ist sie plötzlich nicht mehr die Kleine, | |
obschon ja auch gerade erst im Vorschulalter: Die taz bremen ist | |
dazugekommen, das Küken, ein Federgewicht – aber frech wie Rotz. Die beiden | |
rangeln miteinander, trotz des Altersunterschieds. „Ich schreibe eine | |
Alternative zur Beton-SPD herbei“, schreit die eine. „Alles Reformismus, | |
ich bin nämlich linksradikaler als du“, die andere. Aus | |
Sandkastenraufereien wird Konkurrenzgehabe, beide wollen mal bei der Mutter | |
gut dastehen, mal pfeifen sie auf Berlin, wollen nichts mit dem | |
Mutterschiff zu tun haben. Die taz hamburg ist groß und auch ein bisschen | |
dicklich geworden, mit täglich acht Seiten. Sie wird auf Diät gesetzt, bis | |
sie wieder so schlank ist wie zuvor. | |
Eigentlich wäre es Zeit auszuziehen mit Anfang 20, aber es sieht nach | |
verlängerter Postadoleszenz im Hotel Mama aus. Die taz bremen ist gerade | |
mal volljährig, da finden die beiden 2004 zueinander. Durchaus krisenhaft, | |
weil die Mutter ein Machtwort gesprochen hat: Rauft euch zusammen, sonst | |
ist Schluss! | |
Die beiden fusionieren – und verjüngen sich dabei radikal. Die taz nord | |
wird geboren, ein hybrides Wesen, das auch erst mal laufen lernen muss; das | |
seine eigenen Kinderkrankheiten durchmacht, seine antiautoritären | |
Schreianfälle bekommt. Im Kleinkindalter wird die taz nord von einem | |
Trauerfall in der Familie traumatisiert, muss das Hinscheiden des | |
Nachzüglers taz nrw mit ansehen. Die taz nord rückt dadurch enger zusammen. | |
Was zunächst nur eine Zweckgemeinschaft schien – Ziel: überleben –, wird | |
allmählich doch zu einer Einheit. Die Wurzeln in Bremen und Hamburg bleiben | |
kräftig, sogar als sie nicht mehr sichtbar sind im Sinne von eigenen | |
Lokalseiten. | |
Es ist wiederum im Teenager-Alter, als die nächste Metamorphose beginnt: | |
„Stadtland“ heißt das jüngste Kind im taz-Universum – und es ist Fleisch | |
vom Fleische der Regionalausgaben: taz nord und taz berlin werfen ihre | |
Wochenendausgaben zusammen und loten die Beziehung aus zwischen den | |
Metropolen, dem platten Land und allem, was dazwischen liegt. | |
Midlife-Crisis? Die kann sich gar nicht einstellen, wenn man sich unentwegt | |
neu erfindet. Und, damit hier nicht mal der Gedanke an eine | |
Quarterlife-Crisis aufkommt: Die nächste Transformation ist schon im Gange. | |
Diesmal ist es sogar eine Transsubstantiation: Weg vom gedruckten Papier, | |
das irgendwo herumliegt oder auch nicht, hin zur digitalen Omnipräsenz; | |
gleichsam körperlos, aber auf einer höheren Bewusstseinsstufe. Jan Kahlcke | |
17 Apr 2024 | |
## AUTOREN | |
Jan Kahlcke | |
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