# taz.de -- Die Nummer eins im Hier und Jetzt | |
> Jannik Sinner dominiert weiterhin das Tennisjahr 2024. Souverän gewinnt | |
> er das Masters in Miami | |
Von Jörg Allmeroth | |
Eigentlich ist alles wie immer. Ein Spieler beherrscht die Saison schon | |
früh, er gewinnt die großen Turniere mit Souveränität und | |
Selbstverständlichkeit. Er zeigt die stärksten Auftritte immer dann, wenn | |
es darauf ankommt, in den letzten Wettbewerbsrunden. Nur: Dieser Spieler | |
heißt nicht Roger Federer. Nicht Rafael Nadal. Und auch nicht Novak | |
Đoković. Er heißt Jannik Sinner. | |
Der junge Italiener, der am Sonntag das schillernde Masters-Turnier in | |
Miami 6:3, 6:1 gegen den Bulgaren Grigor Dimitrow gewann, ist der | |
herausragende Tennisspieler der Saison. Statistisch mag Sinner nur die | |
Nummer 2 der Weltrangliste sein – die bisher höchste Einstufung in seiner | |
Karriere. Gefühlt ist er im Hier und Jetzt die Nummer eins. „Es gibt im | |
Moment keinen besseren Spieler“, sagte Veteran Dimitrow nach seiner | |
Niederlage, „dies jetzt, das ist seine Zeit.“ | |
Dimitrow hatte selbst eine außerordentliche Geschichte bei dem | |
Masters-Turnier in Florida geschrieben. Der ehemalige ATP-Weltmeister, ein | |
begnadetes Talent, das stets an Roger Federer erinnerte, begeisterte mit | |
Triumphen über gleich drei Top-Ten-Spieler (Hubert Hurkacz, Carlos Alcaraz | |
und Alexander Zverev), ehe ihn Sinner dann komplett chancenlos aussehen | |
ließ. Nur 74 Minuten dauerte das einseitige Finale, in dem Sinner von | |
Anfang an Selbstgewissheit und Zuversicht ausstrahlte. „Auf der Zielgeraden | |
habe ich mein Niveau hier in Miami dramatisch gesteigert“, sagte der | |
22-Jährige. Bei seinem Konkurrenten, so gab Dimitrow zu Protokoll, habe er | |
„null Zweifel“ erkennen können: „Das ist schon Wahnsinn.“ | |
Kann Sinner noch in dieser Saison endgültig den Machtwechsel einläuten, auf | |
Platz eins springen? Seine Kontinuität auf höchstem Niveau kommt in einer | |
Phase, in der sich Zweifel an Novak Đoković regen. Der 36-jährige Serbe, | |
jahrelang der Welt-Beherrscher im Circuit, kommt 2024 überhaupt nicht auf | |
Touren – Ermüdungserscheinungen, Motivationsprobleme nach der jahrelangen | |
Hetzjagd um alle möglichen Rekorde? | |
Während Sinner und Co. noch in Miami um den Titel kämpften, ließ die | |
Meldung aufhorchen, dass Đoković seinen Trainer und langjährigen | |
Weggefährten Goran Ivanišević gefeuert hat. Das Masters im Süden des | |
Sunshine State hatte Đoković aus „privaten Gründen“ sausen lassen. Zuvor | |
war er nach der Sensationsniederlage von Indian Wells Anfang März gegen den | |
italienischen Nobody Luca Nardi (ATP-Ranglistenplatz 123) konsterniert | |
gewesen, „dass ich jetzt hier stehe und noch keinen Titel in der Saison | |
geholt habe“. | |
Sinner dagegen marschiert weiter mit einer Zielstrebigkeit, die ihn zu | |
einem potenziellen Erben des Imperiums der Großen Drei macht. Im vielleicht | |
wichtigsten Saisonspiel hatte er im Australian-Open-Halbfinale dem dortigen | |
Seriensieger Đoković keine Chance gelassen, anschließend holte er sich dann | |
auch seinen ersten Grand-Slam-Titel. 22 von 23 Matches hat er nun gewonnen | |
im Jahr 2024 – nur gegen den Generationskollegen Alcaraz musste er sich in | |
Indian Wells beugen. Sinner und Alcaraz: Es könnte ohnehin der Zweikampf | |
der Zukunft sein. | |
Für Sinner folgt nun die herausforderndste Zeit der Saison, die rutschige | |
Tour durch die Sandplatz-Arenen. Dort habe er noch „Aufholbedarf“, sagt der | |
22-jährige. Im vergangenen Jahr endeten seine Asche-Abenteuer denkwürdig: | |
in der zweiten Runde der French Open verlor er gegen den krassen | |
Außenseiter Daniel Altmaier aus Deutschland. Schwer vorstellbar, dass ihm | |
so etwas in diesem Jahr noch einmal passiert. | |
2 Apr 2024 | |
## AUTOREN | |
Jörg Allmeroth | |
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