Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Eingeknickt vor Riefenstahl?
> Der WDR holt einen Dokufilm nach Jahrzehnten aus dem Giftschrank. Im
> Programm zeigt er ihn nicht
Bild: Leni Riefenstahl (l.) am 20. 11. 1984 im Gerichtssaal des Landgerichts …
Von Thomas Schuler
Fast unbemerkt von der Öffentlichkeit hat der Westdeutsche Rundfunk (WDR)
den Dokumentarfilm [1][„Zeit des Schweigens und der Dunkelheit“] von Nina
Gladitz aus dem Giftschrank geholt. Nach 35 Jahren, 2022 war das. Doch es
gibt viele ungeklärte Fragen und den naheliegenden Verdacht, der WDR sei
vor der NS-Propaganda-Filmemacherin Leni Riefenstahl eingeknickt.
Jahrzehnte lang war der Film mit einer fragwürdigen Begründung gesperrt. Im
linearen Programm oder in der Mediathek des WDR soll er weiterhin nicht zu
sehen sein.
Am vergangenen Mittwoch lief der Film nun in Freiburg, ebendort, wo Mitte
der 1980er Jahre ein aufsehenerregender Prozess stattfand.
Leni Riefenstahl klagte damals vor dem Landgericht gegen Nina Gladitz und
die im Film geäußerten Vorwürfe: Sie habe für ihren von den Nazis
finanzierten Spielfilm „Tiefland“ ab 1941 Sinti aus einem
Konzentrationslager in Maxglan bei Salzburg geholt und unbezahlt und unter
Zwang als Komparsen beschäftigt. Der Großteil wurde später im
Vernichtungslager Auschwitz ermordet; Überlebende sprachen in der Doku
davon, Riefenstahl habe sie im Glauben gelassen, sie würde sie vor der
Deportation retten. Riefenstahl bestritt all das, unterlag aber vor Gericht
in drei von vier Punkten. Dennoch sperrte der WDR den Film.
Das kleine kommunale Kino in Freiburg war fast ausverkauft, als die
ehemalige WDR-Redakteurin und Grimme-Preisträgerin Sabine Rollberg, die
2018 in Ruhestand ging, über die zeitgeschichtliche Bedeutung des Films und
das Versäumnis des WDR sprach.
Der WDR, sagte Rollberg, hätte unter Beweis stellen können, dass er seiner
Verantwortung für Diskriminierte und Verfolgte des Naziregimes gerecht
werde. Mit einer erneuten Ausstrahlung, die den Prozess und die Sperre in
Kontext setzt, hätte er zeigen können, warum er es wert sei, Gebühren zu
erhalten. Das sei leider nicht passiert. Sie sprach auch davon, dass der
WDR der Karriere der begabten Filmemacherin Nina Gladitz geschadet habe.
Josef Reinhardt, der als 13-Jähriger einer der Komparsen war, ist der
Protagonist des Films, der die Spuren des Lagers sucht und mit seiner
Familie über die Erlebnisse mit „Tante Leni“ spricht, wie Riefenstahl von
den Sinti genannt wurde. Reinhardt ist inzwischen verstorben.
Nach der Vorführung erzählten sein Neffe Giuliano sowie fünf weitere
Mitglieder der Familie Reinhardt, wie intensiv und ausdauernd Nina Gladitz
sich mit der Lage der Sinti und Roma befasst habe und wie wichtig es für
die Familie sei, den Film nun in der Öffentlichkeit sehen zu können. Das
sei ein Meilenstein nach Jahren des Übersehenwerdens und des täglich
erlebten Rassismus. Die 2003 verstorbene Nazi-Regisseurin, die im erst 1954
in die Kinos gekommenen „Tiefland“ auch die Hauptrolle übernahm, bestritt,
wie erwähnt, die Vorwürfe der Sinti. Seit dem Freiburger Urteil von 1984
ist es erlaubt zu sagen, dass Riefenstahl die Komparsen in einem KZ
ausgesucht und nicht bezahlt habe. Man könne ihr jedoch nicht unterstellen,
dass sie 1941 von der Vernichtung gewusst habe, da diese in Auschwitz erst
später begonnen habe.
Das Gericht beanstandete eine Szene, in der die Familie Reinhardt sagt,
Tante Leni habe die Rettung von Auschwitz versprochen. Der WDR sperrte den
Film daraufhin weg, auch für Forschung und Gedenkstätten. Nina Gladitz habe
diese Szene umschneiden wollen, um den Film ins Ausland zu verkaufen, sagte
Sabine Rollberg. Doch der WDR habe ihr das Originalmaterial verweigert. Sie
erhielt kaum mehr Aufträge im WDR.
[2][Nina Gladitz] starb im Mai 2021; Monate davor war ihre Biografie über
„Leni Riefenstahl – Karriere einer Täterin“ erschienen, in der sie ihre
jahrelange Auseinandersetzung mit Riefenstahl beschrieb. [3][Ein offener
Brief des Publizisten Gerhard Beckmann] forderte WDR-Intendant Tom Buhrow
2021 auf, die Sperre aufzuheben. Im März 2022 war der Umgang des WDR mit
„Zeit des Schweigens“ schließlich Thema im Rundfunkrat des Senders im
Rahmen der Aussprache mit dem Intendanten.
Damals gab Buhrow die Wende bekannt, die der WDR seither in ähnlicher Form
verschickt, auch auf Anfrage des Autors dieser Zeilen.
Darin heißt es: „Nach einer Klage Leni Riefenstahls gegen die Filmemacherin
Nina Gladitz hat das Oberlandesgericht Karlsruhe im Jahr 1987 entschieden,
dass der Film „Zeit des Schweigens und der Dunkelheit“ in seiner
ursprünglichen Fassung nicht mehr gezeigt werden durfte. Änderungen an
ihrem Film lehnte Nina Gladitz aber ab. Der Film wurde im WDR-Archiv daher
– wie in solchen Fällen üblich – mit einem entsprechenden Sperrvermerk
versehen.“
2021 habe der WDR den offenen Brief zum Anlass genommen, den Film erneut zu
sichten und die dazu archivierten Akten eingehend zu prüfen. „Nach
Abschluss der Prüfung sehen wir die Bedeutung des Films für die
wissenschaftliche und gesellschaftliche Aufarbeitung der Ausgrenzung und
Ermordung von Sinti und Roma während des Nationalsozialismus. Daher hat der
WDR entschieden, den Film freizugeben, z. B. für ein Fachpublikum im Rahmen
einer Veranstaltung.“
Eine erneute Ausstrahlung durch den WDR sei nicht geplant, „da der Film aus
heutiger Sicht nicht unseren Standards entspricht, wir aber gleichzeitig
den Wunsch der Autorin respektieren, den Film nicht zu verändern“.
Es sei grundsätzlich Anspruch des WDR, historische Fragestellungen auf
Basis des aktuellen Forschungsstandes einzuordnen. „Diesem Anspruch würden
wir mit der Ausstrahlung einer über 40 Jahre alten Dokumentation nicht
gerecht werden.“
Welche Standards gemeint sind, bleibt offen. Ebenso, warum er nicht in der
Mediathek abrufbar sein darf.
Und wie erwähnt widerspricht Sabine Rollberg ihrem ehemaligen Arbeitgeber:
Nina Gladitz habe jahrelang vergeblich versucht, die inkriminierte
Auschwitz-Passage umzuschneiden und deshalb ihr Material zurückgefordert,
aber nicht erhalten. Auf den Widerspruch ging der WDR, obwohl darauf in der
Anfrage hingewiesen, in seiner Stellungnahme nicht ein.
3 Apr 2024
## LINKS
[1] https://www.kontextwochenzeitung.de/medien/678/eingeknickt-vor-leni-riefens…
[2] /Archiv-Suche/!1204536&s/
[3] https://culturmag.de/crimemag/gerhard-beckmann-offener-brief-in-sachen-nina…
## AUTOREN
Thomas Schuler
## ARTIKEL ZUM THEMA
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.