| # taz.de -- das wird: „Dort hatte mein Vater Todesangst“ | |
| > Oliver Kanehl hat einen Film über die Erlebnisse seines Vaters im Zweiten | |
| > Weltkrieg im heutigen Polen gedreht | |
| Interview Anna Lindemann | |
| taz: Herr Kanehl, wie sind Sie darauf gekommen, einen Film über die | |
| Kriegserlebnisse Ihres Vaters zu drehen? | |
| Oliver Kanehl: Mein Vater ist 1935 in Ostpreußen geboren, ich habe ihn aber | |
| in meiner Jugend nie als Kriegskind betrachtet. Mit dem Film wollte ich ihn | |
| und meine Familie besser verstehen. | |
| Wie hat Ihr Vater die damalige Zeit erlebt? | |
| Die Zeit hat ihn geprägt. Der Vater meines Vaters war in der NSDAP. Gegen | |
| Ende des Krieges ist meine Großmutter mit ihren Kindern vor der Roten Armee | |
| geflohen, mein Vater war damals acht Jahre alt. Auch diese Geschichte | |
| erzähle ich im Film. | |
| Sie sind dafür gemeinsam nach Polen gereist? | |
| 2008 bin ich gemeinsam mit meinen Eltern und meinem Bruder dorthin gereist, | |
| wo mein Vater seine Kindheit verbracht hat. Von dort sind wir seiner | |
| Flucht-Route gefolgt. Ich habe damals alles mit der Kamera begleitet, um | |
| festzuhalten, wie sich Vergangenheit und Gegenwart begegnen. | |
| Welcher Ort ist Ihnen besonders in Erinnerung geblieben? | |
| Zentraler Ort für meinen Vater war die Kleinstadt Debrzno, früher hieß sie | |
| Preußisch Friedland. Noch immer erkennt man dort die Narben des Krieges | |
| durch die Zerstörung im Stadtbild. Dort hatte mein Vater als Kind die | |
| eindrücklichsten Erlebnisse und über Tage Todesangst. Das holte ihn wieder | |
| ein, als wir dort waren. | |
| Der Film hat eine lange Entstehungsgeschichte. Was war das für ein Prozess? | |
| Die Aufnahmen aus Polen lagen lange in der Schublade. Erst 2017 fing ich | |
| an, den Film fertigzustellen. Mein Vater war in der Zwischenzeit gestorben, | |
| in diesem Film steckt also auch ein Trauerprozess. Wenn man sich mit seinen | |
| Eltern auseinandersetzt, setzt man sich auch mit seiner eigenen Identität | |
| auseinander. Ich habe meinen Vater über diese Arbeit erst richtig | |
| kennengelernt und durch die Reise verstanden, wer er war und warum er sich | |
| innerhalb der Familie zurückzog und abkapselte. | |
| Wie geht der Film mit der Tätervergangenheit Ihrer Familie um? | |
| Die Aufarbeitung der Nazivergangenheit meiner Familie kann dieser Film | |
| nicht leisten, denn im Fokus hat er die Kinder als Opfer des Krieges, die | |
| später unsere Eltern wurden. Die wichtige Frage nach der Schuld, die in | |
| meiner Familie teilweise noch vergraben ist, klingt an, bleibt aber offen. | |
| Das ist ein anderes Kapitel und damit möchte ich mich gerne in einem | |
| anderen Film auseinandersetzen. | |
| 21 Feb 2024 | |
| ## AUTOREN | |
| Anna Lindemann | |
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