| # taz.de -- Fürs Hirn und gegen Optimierungstrends | |
| > Das Musiktheater-Ensemble DieOrdnungDerDinge gestaltet im Radialsystem | |
| > ein Konzerterlebnis zur musikalischen Selbstoptimierung | |
| Von Anna Schors | |
| Mozart macht schlau. Das zumindest behauptete 1993 eine in dem | |
| amerikanischen Fachmagazin Nature veröffentlichte Studie, derzufolge das | |
| Hören von Mozarts Musik zu einer kognitiven Leistungssteigerung führen | |
| soll. Blitzschnell verbreiteten sich die Neuigkeiten über den sogenannten | |
| Mozart-Effekt in den Medien und weil Mozart-Klänge angeblich schon bei | |
| Neugeborenen den IQ pushen sollten, schenkte der damalige Gouverneur von | |
| Georgia kurzerhand jeder frischgebackenen Mutter eine CD mit Musik des | |
| Ausnahme-Komponisten. | |
| Inzwischen wurde der Mozart-Effekt wissenschaftlich widerlegt, doch der | |
| Traum von Biohacking durch Musik geistert noch immer durch die Köpfe – und | |
| vor allem durch das Internet. Auf Youtube, iTunes oder Spotify versprechen | |
| etliche Playlists mit Klangschalenmusik, Solfeggio-Frequenzen oder Brown | |
| Noise tieferen Schlaf, verbesserte Konzentration, mehr emotionale | |
| Ausgeglichenheit. | |
| Diesen Trend zur Selbstoptimierung nimmt das Berliner Ensemble | |
| DieOrdnungDerDinge in ihrer Konzert-Performance Brain Pitch im Radialsystem | |
| aufs Korn. Brain Pitch ist eine augenzwinkernde Einladung an die Zuschauer, | |
| sich einer akustischen Hirnbehandlung zu unterziehen. Zu diesem Zweck sind | |
| Sitzreihen mit Headsets ausgestattet, die Vera Kardos, Iñigo Giner Miranda | |
| und Cathrin Romeis von der Bühne aus mit Cello, Gong, Geige und Klavier | |
| bespielen. Sie sitzen dabei wahlweise auf einer überdimensionierten | |
| Ohrmuschel, einem riesenhaften Augapfel oder bewegen sich gemessenen | |
| Schrittes durch den Raum. | |
| Währenddessen führen Videoprojektionen durch die verschiedenen Hirnareale, | |
| die durch die passenden Schwingungen stimuliert werden, damit sie einen | |
| Zustand höchster Konzentration bei vollkommener Entspannung – genannt | |
| „Flow“ – erreichen können. Nebenbei wird das Publikum mit neurobiologisc… | |
| Funfacts versorgt und erfährt etwa, dass das Cerebellum – eine | |
| Hirnstruktur, die für Koordination und Feinmotorik zuständig ist – aussieht | |
| wie ein kleiner Brokkoli. Zwischendurch darf es sich zu den Klängen von | |
| Mozarts Sonata Facile und einer Slow-Motion Version des Adagios aus | |
| Schuberts C-Dur-Streichquintett entspannen. | |
| Es ist schwer, nicht zu lachen, wenn die „Behandlung“ plötzlich durch | |
| aufwändig produzierte Promo-Clips unterbrochen wird, in denen das Ensemble | |
| schamlos Eigenwerbung für fiktive kommende Projekte macht („Highly | |
| Problematic – ein Stück über kulturelle Aneignung und andere schwierige | |
| Probleme“) oder wenn die drei Darsteller mit todernstem Pokerface Übungen | |
| zur Optimierung der Hirnströme anleiten (mit dem Finger auf die eigene | |
| Nasenspitze zeigen). Hin und wieder kichert es ertappt aus dem Publikum. | |
| Wer ist nicht schon mal den leeren Versprechen der Pseudowissenschaft auf | |
| den Leim gegangen? | |
| Neben triefender Ironie hat der Abend auch einen ernsthaften Mehrwert zu | |
| bieten. Bei dieser reduzierten Form aus fiktivem Ted-Talk und | |
| Konzerterlebnis hört man auf einmal genauer hin: Ein kurzes Klavierstück in | |
| der Stille des Raumes und ein einzelner Strich auf der Cellosaite werden | |
| plötzlich zum Ereignis. | |
| Vor allem das abschließende Quiz, bei dem die Zuschauer per Handzeichen | |
| Höreindrücke bewerten sollen, wirft interessante und beinahe philosophische | |
| Fragen auf: Ist dieser Klang heiter oder aufgewühlt? Nostalgisch oder | |
| melancholisch? Das regt zum Nachdenken an und öffnet Augen und Ohren für | |
| die unverstellte Schönheit der Musik, die sich jedem Leistungsdenken | |
| entzieht. | |
| Brain Pitch kulminiert schließlich in einem wilden und virtuosen Medley aus | |
| Hits der E- und U-Musik von Wagner bis Madonna. Zeitgleich regnet es | |
| Tischtennisbälle von der Decke. Spätestens da sollte jeder verstanden | |
| haben: Musik darf auch einfach nur Spaß machen. | |
| 19 Feb 2024 | |
| ## AUTOREN | |
| Anna Schors | |
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