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# taz.de -- berliner szenen: Die Ärztin und das Auge
Es ist Kafka-Jahr und schon krass, wie viele kafkaeske Szenen wir in dieser
Stadt erleben dürfen; diese Kolumne könnte daher auch Kafkaeske Szenen
heißen. Eine spielte sich jüngst in einer Augenarztpraxis am vulgär-noblen
Kurfürstendamm ab. Als ich morgens aufwache, traue ich meinen Augen nicht:
Meine Freundin sieht nicht mehr so aus wie am Abend, als sie einschlief.
Zum Glück hat sie sich nicht wie Gregor Samsa in einen hässlichen Käfer
verwandelt. Die Verwandlung betrifft ihr Auge. Pflaumendick geschwollen und
verquollen, es tränt und schmerzt und sorgt für Panik.
Pünktlich stehen wir in der Sprechstunde, die Ärztin ist Gott sei Dank
schon da. Seit Jahren ist meine Freundin dort Glaukom-Patientin. „Nehmen
Sie gerne im Wartezimmer Platz, es ist ja noch niemand da“, sagt die
Arzthelferin an der Anmeldung. Nach fünf Minuten lässt die Ärztin
ausrichten, meine Freundin solle einen Akut-Termin bei ihr vereinbaren, und
zwar über den Bereitschaftsdienst 116117. Da seien heute noch Termine für
ihre Praxis frei. „Aber ich bin doch jetzt hier! Wieso dieser Umweg?“ Das
Personal bleibt hart. Fehlt nur noch ein Türsteher vorm Sprechzimmer.
Privatpatienten first.
Eine hitzige Debatte folgt, die meine Freundin verärgert beendet: „Das ist
doch kafkaesk hier!“ Anruf bei der 116117. Dort wird vermutet, dass die
Augenärztin auf dem Termin über den Bereitschaftsdienst beharrt hat, da sie
auf diesem Wege mehr kassiert – die Kassenärztliche Vereinigung honoriert
dann 20 Prozent höher. Praxiswechsel. Tags darauf verschreibt der neue
Augenarzt umgehend ein Antibiotikum. Die verlassene Augenärztin hatte
Glück, dass nicht Patienten aus dem Clanmilieu mit blauen Augen in ihrer
Praxis standen, denke ich. Dann fällt mir ein, dass auch Baschar al-Assad
Augenarzt ist. Aber das ist eine andere Geschichte.
Guido Schirmeyer
16 Feb 2024
## AUTOREN
Guido Schirmeyer
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