# taz.de -- Ausgehen und rumstehen von Aleksandar Zivanovic: Wenn Bruno mit sei… | |
Freitagabend. Es regnet, draußen ist es kalt und düster. In der Bar Wilma | |
in Wedding läuft „Coco Jumbo“, ein Lied der deutschen Eurodance-Gruppe Mr. | |
President. Boom-Boom-Musik aus den Neunzigern, früher von vielen auf | |
lokalen Festen gehört, auf Megasausen auf dem Land und in | |
Großraumdiskotheken mit viel Nebel, Schwarzlicht und Neonarmbändern. Nach | |
über 30 Jahren wird diese immer gut gelaunte Spaßmusik nicht mehr nur vor | |
dem Brandenburger Tor bei der großen Silvesterparty gespielt, sondern | |
mittlerweile auch in Berliner Bars, in denen vereinzelt Menschen sitzen, | |
großstädtisch kinky, mit durchsichtigen Netzhemden und hohen Buffaloschuhen | |
oder – wie aus „Matrix“ – mit langem schwarzen Ledermantel, hohen | |
Lederstiefeln und Sonnenbrille. | |
Eine Sitznachbarin erzählt, dass sie eine Wohnung sucht, es ist nicht | |
leicht, sie verdient ganz gut, aber die Vermieter, eine städtische | |
Wohnungsbaugesellschaft, verlangt für eine Wohnung, die 800 Euro kosten | |
soll, Einkommensnachweise, die das Dreifache betragen, also 2.400 Euro – | |
und das netto! | |
Im Hintergrund läuft nun Venga Boys. Das ist Musik aus einer Zeit in | |
Westeuropa, in der es bergauf ging, es ging voran. Helle Synthesizerklänge, | |
einfache Melodien, schnelle, harte, kühle Beats zum Mitwippen. | |
Jetzt kommen drei Freundinnen herein, sie tragen Leopardenmusterhüte und | |
nippen an neonfarbenen Getränken. Es läuft „Mr. Vain“ von Culture Beat. | |
Draußen weht inzwischen ein sehr kalter Wind. | |
Am Samstagnachmittag scheint mittags die Sonne. Viele Menschen spazieren | |
mit großen Einkaufstüten den Kurfürstendamm entlang. Am Wittenbergplatz | |
steht Polizei. Die AfD hat etwa 50 Personen dorthin mobilisiert, eine | |
Wahlkampfkundgebung für die Wahlwiederholung in Berlin. Es werden Reden | |
gehalten, die Ampel muss weg, dieses Mal würde es natürlich noch nicht | |
klappen, aber die Zeit wird kommen, oh, darauf kann man sich verlassen, und | |
dann können sich einige warm anziehen, das ist nicht bloß dahergesagt, denn | |
dann wird man schon sehen, es wird aufgeräumt, Remigration, Remigration. | |
Etwa 50 Meter davon entfernt protestieren etwa gleich viele Menschen gegen | |
die AfD. „Björn Höcke ist ein Nazi“ wird dort gerufen. Daraufhin lachen | |
einige AfDlerinnen und AfDler höhnisch auf. Sie grinsen verklemmt oder | |
brüllen mit weit aufgerissenen Augen und hochrotem Kopf unter anderem | |
Folgendes zurück: buh! | |
Abends dann tolle Live-Musik im Urban Spree auf dem RAW-Gelände in | |
Friedrichshain. Der Italokanadier Bruno Belissimo spielt Bass und | |
gelegentlich Synthesizer, begleitet von einem Schlagzeuger und einem | |
Percussion-Spieler. Italo-Disco voller Leben, cool und mitreißend zugleich. | |
Die Band bringt schnell alle im gut gefüllten Raum zum Tanzen. Es hört sich | |
an wie Giorgio Moroder und Donna Summer oder der von Christian Bruhn | |
eingespielte Soundtrack von „Captain Future“. | |
Wenn Bruno Belissimo mit seinem Bass und im Schulterpolstersakko über die | |
Bühne tänzelt, sich auf einem Bein um die eigene Achse dreht und dabei | |
Disco-Bass-Melodien zupft, hier und da die Saiten rhythmisch schnarren | |
lässt, ab und zu im Publikum verschwindet und zwischen den Tanzenden | |
weiterspielt, dann macht das großen Spaß. | |
Der Bass ist oft die treibende Kraft in Bands, aber selten der Mittelpunkt. | |
An diesem Abend stiehlt niemand dem Bass die Show. Wer auf handgemachte | |
Discomusik steht, der sollte das nächste Mal zu Bruno Belissimo hingehen. | |
Es war sein erstes Konzert in Berlin, aber hoffentlich nicht sein letztes. | |
13 Feb 2024 | |
## AUTOREN | |
Aleksandar Zivanovic | |
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