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# taz.de -- berliner szenen: Ein Zebra, nackt im Milchhof
Der folgende Text enthält Nacktszenen, die das sittliche Empfinden … Spaß
beiseite. Wir sind auf einer Vernissage. Ein Gast spricht mich an, als wir
das Ren an der Wand betrachten: „Schon unsere Vorfahren zeichneten Rentiere
an Höhlenwände, und schon Neandertaler jagten sie.“ Das Ren ist ein
Schwarz-Weiß-Foto von einer jungen Frau mit Rentiermaske, ansonsten oben
ohne. „Aus meinem Tierbuch“ nennt der Fotograf Marc Schuhmann seine
„Photoinstallation“ im Milchhof-Pavillon. In einer Sequenz an der Wand vis
à vis huscht hocherotisch eine Nackte bei Nacht mit Zebra-Maske durch hohes
Gras und streift sich einen schwarzen Tanga über. Zwischen den Fotos in dem
unbeheizten Glasbetonbau tanzt eine muskulöse Tänzerin in klobigen
Bikerboots mit nichts an als einem weißen Slip und einem knappen Top, als
wäre Tanz im August. Dabei ist es die kälteste Nacht des Januars, minus
zehn Grad.
„Die holt sich den Tod“, sorgt sich meine Begleiterin. „Ukrainerinnen sind
Kälte gewohnt“, zwinkert uns eine Frau mit Schiebermütze zu. Ah,
Ukrainerin, sage ich so dahin. Künstlerinnen aus der Ukraine umgibt eine
Aura, die man besonders zur Kenntnis nimmt, eine Aura des Krieges. Draußen
stehen wir noch eine Weile um eine Feuerschale. Klammern uns an heiße
Glühweinbecher. Den köchelt feldküchenmäßig ein gut durchgerockter
Weinschenk. Seine Stimme ist im Eimer, „eine Woche durchgefeiert“, krächzt
er und dreht sich eine. Aus einer Boom-Box, die einfach da im Dreck liegt,
scheppert ein DAF-Track, „als wär’s das letzte Mal“. Ein Hauch Berliner
Winter-Underground wie damals. Tacheles-Feeling flackert auf – bis
beißender Ruß und eisiger Wind uns vom Acker jagen. „Übrigens, Rens sind
die einzige Hirschart, die domestiziert ist!“, ruft mir der Typ vom Anfang
noch hinterher. Guido Schirmeyer
1 Feb 2024
## AUTOREN
Guido Schirmeyer
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