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# taz.de -- debatte: In Haft nach Abschiebung
> Obwohl die Menschenrechtslage in Tadschikistan desolat ist, schiebt die
> Bundesregierung in das Land ab. Dabei gibt es Druckmittel gegen das
> Regime
Vor einem Jahr hat Deutschland einen tadschikischen Exil-Aktivisten, der
seit 2009 in Dortmund lebte, nach Tadschikistan abgeschoben. Was dann
geschah, ist ein schockierendes Beispiel dafür, was passieren kann, wenn
Deutschland bei seinen verstärkten Bemühungen, abgelehnte
Asylbewerber*innen abzuschieben, die gebotenen Sicherheitsvorkehrungen
nicht einhält.
Der 33-jährige Aktivist Abdullohi Shamsiddin wurde im Januar 2023 nach
Tadschikistan abgeschoben – und bei seiner Ankunft von den
Sicherheitsdiensten sofort festgenommen. Zwei Monate später wurde er zu
sieben Jahren Haft verurteilt. Der Vorwurf lautete: versuchter Sturz der
Verfassung. In einem unfairen Prozess, der nur zwei Tage dauerte, wurden
hierfür jedoch keine glaubwürdigen Beweise vorgelegt. Tadschikistan, ein
muslimisch geprägtes Land mit 9,7 Millionen Einwohnern in Zentralasien,
wird von einem der dienstältesten Autokraten der Welt regiert. Präsident
Emomali Rahmon ist seit 1992 an der Macht der Ex-Sowjetrepublik. Er
verfolgt einen harten Kurs gegen die Menschenrechte, insbesondere seit
2015, als die wichtigste Oppositionspartei, die Islamische Partei IRPT, und
die Gruppe 24, eine weitere Oppositionsgruppe, verboten wurden. Das
Europäische Parlament zeigte sich betroffen über die „staatliche Repression
gegenüber unabhängigen Medien“ im Land. Die Bundesregierung hat die
schwierige Menschenrechtslage in Tadschikistan in ihrer Antwort auf eine
parlamentarische Anfrage zum Fall Shamsiddin klar benannt: „Bürgerliche
Freiheiten, insbesondere die Meinungs- und Religionsfreiheit, sind in
Tadschikistan stark eingeschränkt“, hieß es.
Shamsiddins Vater, ein anerkannter Geflüchteter in Deutschland, ist
führendes IRPT-Mitglied. Dies machte Shamsiddins erzwungene Rückkehr zu
einem besonders wertvollen Präsent für die autoritäre Führung
Tadschikistans. Nach seiner Festnahme verbrachte Shamsiddin junior nach
Angaben von Familienmitgliedern über zwei Monate in Isolationshaft in einer
abgedunkelten Zelle. Er hat stark abgenommen; bisweilen wurden ihm
ausreichend Nahrung, einfachste Dinge wie eine Matratze oder notwendige
Medikamente verweigert. Als ein Vertreter der deutschen Botschaft
Shamsiddin besuchte, waren acht Gefängniswärter dabei.
Dutzende Verwandte und Freund*innen in Tadschikistan wurden von den
Behörden befragt. Die entsprechenden Kontaktdaten hatten sie von
Shamsiddins Mobiltelefon abgerufen. Das Telefon war ihnen von der deutschen
Polizei ausgehändigt worden. Saidumar Saidov, ein Cousin Shamsiddins, ist
mittlerweile wegen eines kurzen Beitrags in den sozialen Medien über
Shamsiddins Fall zu sechs Jahren Haft verurteilt worden. Shamsiddin hätte
nie abgeschoben werden dürfen, da im Völkerrecht, darunter in mehreren
Verträgen, die Deutschland ratifiziert hat, der Grundsatz der
„Nichtzurückweisung“ verankert ist. Dieser verbietet die Rückführung ein…
Person in ein Land, in dem ihr Folter, grausame oder unmenschliche
Behandlung droht.
Shamsiddin hat drei Mal Asyl in Deutschland beantragt, jedoch ohne Erfolg.
Sein Fall ist komplex. Er änderte nach seiner Ankunft in Deutschland seinen
Namen und ist mehrfach vorbestraft. Offenbar deshalb haben die örtlichen
Behörden und Gerichte die Meinung von Tadschikistan-Expert*innen nicht
berücksichtigt, die davor warnten, dass Shamsiddin zurück in seinem
Heimatland höchstwahrscheinlich inhaftiert und misshandelt werden würde.
Tadschikistan ist als ein Land berüchtigt, das Regierungsgegner*innen
auch im Ausland verfolgt. Viele Oppositionelle sind nach dem gewaltsamen
Durchgreifen im Jahr 2015 ins Ausland gezogen. Im Jahr 2016 veröffentlichte
Human Rights Watch Rechercheergebnisse, die die Strategie der Machthaber
belegen, im Ausland lebende Aktivist*innen anzugreifen, zu entführen
oder ihre Abschiebung zu erwirken. Seitdem sind Oppositionelle aus vielen
Ländern, darunter Österreich und Deutschland, nach Tadschikistan
abgeschoben worden.
Die Regierung verhört regelmäßig in Tadschikistan lebende Verwandte von
Exil-Aktivist*innen, um Druck auf diese auszuüben, damit sie ihre
oppositionellen Aktionen einstellen. Im vergangenen September protestierte
eine Gruppe tadschikischer Aktivist*innen in Berlin gegen den Besuch
des tadschikischen Präsidenten. In den darauffolgenden Tagen befragten
tadschikische Behörden Angehörige der Demonstrierenden. Rund 50 Angehörige
wurden verhört, einige wurden über Tage festgehalten.
Mehrere Bundestagsabgeordnete verfolgen den Fall Shamsiddin. Die
Bundesregierung sollte Tadschikistan dazu auffordern, seine permanenten
Menschenrechtsverletzungen zu beenden, Shamsiddin freizulassen und ihm die
Ausreise zu ermöglichen. Es gibt durchaus einen Hebel: Tadschikistan strebt
derzeit engere Beziehungen zu Europa an. Deutschland hat also durchaus ein
Druckmittel für Verhandlungen, falls die Bundesregierung denn gewillt ist,
dieses einzusetzen. Sie sollte ferner untersuchen, warum er in ein Land
abgeschoben wurde, in dem bekanntermaßen die Gefahr von Folter oder
unmenschlicher Behandlung besteht – um sicherzustellen, dass sich solche
Vorfälle nicht wiederholen.
Es ist dringend. Denn Ende November wurde ein weiterer tadschikischer
Oppositionsaktivist aus Deutschland abgeschoben. Bilal Qurbanaliev war
einer der Demonstrierenden gegen den Besuch Rahmons im vergangenen
September. Er sitzt jetzt in Tadschikistan in Haft. Außerdem wurde im
Dezember ein tadschikischer Mann in Deutschland wegen Terrorismusverdachts
verhaftet. Die Vorwürfe sind ernst und sollten untersucht werden. Aber er
sollte nicht nach Tadschikistan abgeschoben werden, wenn die Gefahr
besteht, dass er dort gefoltert werden könnte.
29 Jan 2024
## AUTOREN
Hugh Williamson
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