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# taz.de -- Totgeglaubte Bienen wiedergefunden
> Der Fund dreier verschollen geglaubter Bienenarten in Niedersachsen
> verweist auf das Problem des stillen Artensterbens. Botanische Gärten
> können erste Schutzräume sein
Von Hellen Kachler
Es war eher ein „Glücksfund“, den Expert*innen im botanischen Garten
Göttingen und den Naturschutzgebieten Schachsenstein und Steinberg gemacht
haben, erklärt Fionn Pape, Vorstandsmitglied der Biologischen
Schutzgemeinschaft. Er und seine Kollegin*innen haben bei der oft
ehrenamtlichen und mühsamen Bestimmungsarbeit besonders seltene Bienen- und
Wespenarten entdeckt. Darunter waren auch drei Arten, die seit 100 Jahren
als verschollen galten (Bärenklau-Sandbiene, Ockerköpfige Herbstsandbiene,
Förster Kegelbiene) und drei Arten, die erstmals in Niedersachsen
nachgewiesen wurden (Bitterkraut-Wespenbiene, Goldwespe, Faltenwespe).
Die Funde wurden im Rahmen des Projektes „Förderung von Hotspots der
Wildbienen-Vielfalt in Süd-Niedersachsen“ gemacht und kürzlich in einer
Studie veröffentlicht. Die Expert*innen der Biologischen
Schutzgemeinschaft, die die Studie verfassten, suchten gezielt nach
seltenen Bienen- und Wespenarten. Dabei wurden die Tiere mit Keschern
einzeln von Pflanzen abgesammelt, um sie anhand weniger Merkmale wie der
Punktierung auf dem Hinterleib zu unterscheiden.
Entwarnung für diese Arten bedeutet der Fund allerdings nicht. Neben der
bekannten Honigbiene gibt es in Deutschland 600 weitere Wildbienenarten.
Davon gelten momentan 52 Prozent als gefährdet oder ausgestorben. Da es so
wenige Tiere seltener Arten gibt, ist es schwer, ihre Existenz
nachzuweisen. So wurden auch die kürzlich gesichteten Arten vor allem
deshalb gefunden, weil die Expert*innen in Lebensräumen mit besonders
günstigen Bedingungen für diese Arten suchten.
Die jetzt entdeckten Bienen und Wespen können deshalb eher als
öffentlichkeitswirksame „Schirmarten“ für ihre ökologische Gruppe
verstanden werden. Das sind Arten, deren Schutz das Überleben eines ganzen
Ökosystems sichert und die, sagt Biologe Pape, den unersetzlichen Wert
ihrer gesamten Lebensräume verdeutlichen.
Denn das Kernproblem des Artensterbens liegt in der Zerstörung ihrer
Lebensräume. In Deutschland werden über 50 Prozent der Landflächen intensiv
landwirtschaftlich genutzt, was zu einem enormen Verlust biologischer
Vielfalt führt. Denn Bienen und Wespen können am besten in Offenlandflächen
überleben. Dazu gehören Magerwiesen, also Böden, die noch nie gedüngt
wurden. Auch Gipskalklandschaften wie der Sachsenstein bei Bad Sachsa, auf
dem aktuell Arten wiederentdeckt wurden, gehören aufgrund ihrer besonderen
Geologie und strukturierten Landschaft dazu.
Anders als beim Artenschutz vieler bedrohter Tiere könne man Bienen und
Wespen außerdem nicht isoliert von ihrem Umfeld schützen, erklärt Pape.
Denn die Landschaften dienen nicht nur den wiederentdeckten Arten als
Lebensgrundlage. Da ein Viertel der deutschen Wildbienenarten zu den
Kuckucksbienen gehört, sie also in fremden Nestern nisten oder ihre Brut
von Wirtsbienen aufziehen lassen, ist der Schutz dieser Wirtsbienen genauso
wichtig. „Ohne Wirtsbiene keine Kuckucksbiene“, sagt Pape. Für solitär
lebende Arten wiederum, die selbst Nester bauen, muss genug Bodenfläche
freigehalten werden.
Auch der Klimawandel spielt bei diesen Prozessen eine komplizierte Rolle.
So geht die Biologische Schutzgemeinschaft beim Fund der Förster Kegelbiene
davon aus, dass klimatische Veränderungen zu ihrem Wiederauftauchen geführt
haben. „Einige Arten sind wärmeliebend und wandern deshalb momentan
aufgrund von Temperatur-Arealverschiebungen ein“, sagt Pape.
Trotzdem ist der Klimawandel für die deutsche Bienen- und Wespenpopulation
kein Segen. Denn der Grund für das Verschwinden der Arten war die
Zerstörung ihrer Lebensräume. Ob sich die wiederentdeckten Arten allein
aufgrund der Temperaturen langfristig wieder ansiedeln können, ist unklar.
Gleichzeitig gibt es auch Verlierer des Klimawandels. Dazu gehören
kälteliebende Arten oder solche, die auf Moore und Nasslandschaften
angewiesen sind, die zunehmend austrocknen.
Natürlich kann der Fund der Biologischen Schutzgemeinschaft zum Schutz der
entdeckten Arten beitragen. Die Landwirte vor Ort können für die besonderen
Bedürfnisse der seltenen Arten sensibilisiert werden. Leitsatz sei, sagt
Pape: „Nur, was man kennt, kann man schützen.“ Rund ein Drittel der
heimischen Wildbienenarten sind zum Beispiel auf Pollen bestimmter Pflanzen
spezialisiert. Deshalb könnte man die Beweidung der Flächen so planen, dass
zur Flugzeit dieser Arten nicht alle Blüten ihrer Nahrungspflanze von
Nutztieren abgefressen sind.
Darüber hinaus hat der Fund symbolische Bedeutung. Artenschützer*innen
und Forscher*innen sehen sich mit der Frage konfrontiert, wie sie die
Abwesenheit von Tieren belegen können. Artensterben sei häufig ein stiller
Prozess, der spät bemerkt werde, erklärt Pape. Deshalb sollte ein seltener
Fund eher an das sonstige Fehlen der Arten erinnern.
Um politische Schutzmaßnahmen zu ergreifen, weiß man inzwischen genug über
die Bedingungen, die viele Arten benötigen. Vor allem müssen noch intakte
Landflächen erhalten bleiben, denn die Regenerierung von Böden würde sehr
lange dauern. Dazu braucht man Förderprogramme und die Honorierung
extensiver Weidenutzung, die für Landwirte sehr aufwendig ist.
Auch botanische Gärten können eine zentrale Rolle für den Erhalt von Bienen
und Wespen spielen. Die oft sehr alten Institutionen verfügen über ein
ausgeklügeltes Niest- und Nahrungsangebot für seltene Arten. Denn sie
hatten viel Zeit, Lebensräume ungestört aufzubauen. Der botanische Garten
in Göttingen etwa ist fast 300 Jahre alt. Problematisch ist derzeit
allerdings die Finanzierung der Gärten, die zunehmend durch ehrenamtliche
Arbeit instandgehalten werden.
Dabei ist der botanische Garten in Göttingen inzwischen in ein Refugium für
viele Bienenarten umgewandelt worden. Pflanzen wie die Felsenfetthenne oder
die Bergaster, die Futter für hoch spezialisierte Wildbienenarten bieten,
wurden für den neuen „Evolutionsgarten“ gepflanzt. Die 80.000 bis 100.000
jährlichen Besucher*innen können außerdem auf einem Wildbienen-Lehrpfad
viel über heimische Arten und ihren Schutz lernen.
29 Jan 2024
## AUTOREN
Hellen Kachler
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