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# taz.de -- Faulsein nur mit Schnurrbart
> Das Künstlerkollektiv ClaudeHilde reflektiert mit einer sozialen Skulptur
> über die Möglichkeiten des Nichtstuns als Frau und Künstler*in
Von Mareike Barmeyer
„Wir müssen einfach mal Pause machen, um den kulturellen Wandel
einzuleiten“, heißt es im Schnurrbartmanifest des Künstlerkollektivs
ClaudeHilde. Das Manifest bekommt man beim Besuch ihrer Performance schon
beim Eintreten in die Hand gedrückt. Nichtstun – nichts leichter als das,
oder? Mit ihrer sozialen Skulptur „Artist at Work“, die normalerweise im
Roten Salon der Volksbühne zu Hause ist, wollen die Schauspieler*innen
Julia Thurnau und Margarita Breitkreiz, Dr. Giulia Maria Chesi und Daniel
Wittkopp alias ClaudeHilde aufzeigen, dass die permanente Selbstoptimierung
in unserer Gesellschaft die weibliche Faulheit unmöglich macht.
ClaudeHilde ist ein utopisches Kollektiv, das es seit 2013 gibt. Eine
soziale Skulptur ist ein Begriff zur Bezeichnung von Kunst, die den
Anspruch verfolgt, auf die Gesellschaft gestaltend einzuwirken. [1][Joseph
Beuys] gilt als ihr Erfinder. Worum aber geht es bei der sozialen Skulptur
„Artist at Work?“ Worauf will diese einwirken? Eigentlich habe der
Konzeptkünstler [2][Mladen Stilinović] die Idee schon 1974 erfunden,
erklärt Thurnau. Er hat damals die Arbeitsbedingungen von Künstler*innen
im Osten und Westen verglichen und gesagt: „Ohne Faulheit keine Kunst“.
Faulheit an sich wird da zum Gegenstand der Kunst.
Im Zentrum der Performance steht selbstverständlich ein Bett, das im Laufe
der Performance abwechselnd von Thurnau und Breitkreitz liegend besetzt
wird, mit und ohne Schnurrbart. Die beiden berufen sich, während sie faul
herumzuliegen versuchen, auf [3][eine Oxfam-Studie von 2020] zu unbezahlter
Care- und Pflegearbeit. Die Studie belegt, dass, wenn diese Arbeit mit dem
örtlichen Mindestlohn bezahlt würde, Frauen und Kinder 25-mal so viel wie
Amazon, Microsoft und Google zusammen verdienen würden. „Ein Kapitalismus
mit Menschen an der Spitze, die zur Fürsorge fähig sind, ist umgehend
ausprobierenswert“, plädiert Thurnau aus ihrem Bett heraus, während der
Performance: „Wir rufen zur Revolution der faulen Frauen auf, um die Welt
zu retten“. Die zentrale Aussage der sozialen Skulptur sei, so Thurnau,
kollektiv bleiben zu lassen, was uns stört, zumindest bis sich was
verändert.
Der Schnurrbart sei notwendig, erklärt sie, damit klar sei, dass sie hier
in diesem Bett auf der Bühne keine Freier suchen oder auf einen Prinzen
warten, der sie rettet. Wenn sie sich ohne Schnurrbart in das Bett legen
würde, kämen beim Publikum gleich ganz andere Assoziationen auf. Außerdem
würde sie als Frau in dem Bett auf der Bühne die ganze Zeit denken: Wie
finden die Leute das? Sehe ich gut aus? Ist mein Arsch zu fett? Da sei man
gleich bei Selbstoptimierung oder Prostitution. Und all das, sagt Thurnau,
mache weiblich Faulheit unmöglich.
Zudem beeinflussen gesellschaftliche Zuschreibungen, Normen und Stereotype
die Bewertung und Verteilung von Arbeit. Da ist ein Schnurrbart einfach
preisgünstiger als erotisches Kapital.
Das Kollektiv plädiert für eine gegenstandslose Welt, dennoch sind sie
inmitten des kapitalistischen Systems prekäre Künstler*innen in Berlin,
und deswegen verkaufen die beiden mit der „Einladung in ihr Bett“ während
der Performance Faulheit auch als Produkt. Im Bett dürfen die Zuschauenden
für eine Spende 10 Minuten lang Faulheit praktizieren und werden damit
gleichzeitig Teil der Performance. Weiblich gelesene Personen sind
eingeladen, sich den Schnurrbart dabei anzuziehen. Als Epilog werden
außerdem im Laufe des Abends in unbezahlter Arbeit hergestellte Werke real
versteigert.
[4][„Artist at Work“] gastiert am 27. Januar um 18 h im ZIK
Schloss-Straßen-Center
25 Jan 2024
## LINKS
[1] /!5765964&SuchRahmen=Print
[2] /!5405718&SuchRahmen=Print
[3] https://www.oxfam.de/ueber-uns/aktuelles/oxfams-studie-sozialer-ungleichhei…
[4] http://claudehilde.com
## AUTOREN
Mareike Barmeyer
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