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# taz.de -- Hagai Dagan Fernsicht – Israel: Eine Bühne für liberale muslim…
Der Krieg im Gazastreifen hat in Israel ein sehr interessantes, wenngleich
nicht gerade beglückendes Phänomen erzeugt. Auf der einen Seite hat die
große Mehrheit das Vertrauen in die rechten Parteien von Benjamin
Netanjahus Koalition verloren. Die Regierung gilt als mitverantwortlich für
die Katastrophe vom 7. Oktober und wird, wenn sich die Umfragen
bewahrheiten, ihre Macht verlieren. Auf der anderen Seite rückt die
Öffentlichkeit noch weiter nach rechts. Die Bereitschaft zu einem
Kompromiss ist so gut wie nicht mehr existent, und die Haltung gegenüber
den Palästinensern nahezu vollkommen feindselig. Faschismus, Fanatismus,
Rassismus und Sadismus blühen auf. Sätze wie „Der ganze Gazastreifen sollte
zerstört werden!“ hört man auch in den Mainstream-Medien. Populistische
Politiker ohne Moral gehören inzwischen zur öffentlichen Routine.
Demgegenüber gelten Leute, die ihre Sorge um die Zivilbevölkerung im
Gazastreifen kundtun, als bizarr oder sogar als Verräter.
Eines der Genres, die in dieser Atmosphäre aufblühen, ist das der
(Pseudo-)Experten der arabisch-islamischen Kultur. „Wir haben ja schon
immer gesagt, dass …, aber keiner wollte uns zuhören, jetzt endlich
erkennen alle, dass wir recht hatten“, heißt es dort. Ihre frustrierende
Botschaft berührt nicht nur den israelischen Konflikt mit den arabischen
Staaten und den Palästinensern, sondern auch den mit den
muslimisch-arabischen Bevölkerungsgruppen in Europa.
Der Islam strebe nach einer Islamisierung der gesamten Menschheit. Krieg
und Gewalt seien – so weit möglich – Mittel, um dieses Ziel zu erreichen,
bis hin zur Vertreibung oder Auslöschung kompletter Bevölkerungen. Die
Rhetorik einer Integration auf friedlichem Weg im demokratisch-liberalen
Raum sei nichts als Augenwischerei.
Bewegungen wie die Hamas sind islamistische Bewegungen, und das ist ihre
erklärte Ideologie. Nationale Bewegungen, die nicht unbedingt religiös
sind, wie die PLO, zielten zwar nicht auf eine Islamisierung aller Bürger
Israels, sondern nur auf die Kontrollübernahme des Gebiets – vom Jordan
bis zum Mittelmeer. Das Gerede von einem Kompromiss oder einer
Zweistaatenlösung sei Mittel zum Zweck. Letztendlich werde die Macht über
Palästina schon in den muslimischen Schriften, allen voran im Koran,
prophezeit. Man hat euch eine Illusion verkauft, so die Botschaft.
Aber ist das wirklich so? Ist der gemäßigte oder liberale Islam wirklich
nichts als eine Illusion? Sind alle Muslime Hamas in verschiedenen
Schattierungen? Waren wir all die Jahre völlig naiv? Meine Antwort darauf
ist eine doppelte: Theoretisch waren wir natürlich nicht naiv; im
Gegenteil: Natürlich lassen sich viele Zitate aus der Geschichte des Islam
anführen, die diese Position stützen. Möglich ist sogar, dass dies
traditionell die vorherrschende Position im Islam ist. Aber Religionen sind
dynamisch und vielfältig. Sie verändern sich je nach historischen
Gegebenheiten und den Gesellschaften, in denen sie existieren, und so gibt
es auch unter arabisch-muslimischen Kommentatoren liberale Stimmen.
Letztlich ist die entscheidende Frage nicht, was in den Quellen steht,
sondern wie sie interpretiert werden.
Tatsächlich ist es so, dass die gemäßigten, liberalen und humanistischen
Muslime heutzutage kaum noch gehört werden, sondern zunehmend mundtot
gemacht werden im Zuge des religiösen Fanatismus, der in der Tat große
muslimische Gemeinschaften in der muslimischen Welt und in Europa
kennzeichnet. Doch gerade sie sollten gehört werden, ihre Position muss in
der Öffentlichkeit präsent sein und Wirkung zeigen. Sonst haben wir
niemanden mehr, mit dem wir reden können.
20 Jan 2024
## AUTOREN
Hagai Dagan
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