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# taz.de -- Egozentrische GenZ?: Die Bedürfnis-Kids
> Warum leben Twentysomethings gnadenlos ihre „Bedürfnisse“ aus? Und ist es
> wirklich schlecht, wenn die GenZ wesentlich souveräner mit eigenen
> Bedürfnissen umgeht?
Bild: Me, myself and I first
[1][taz FUTURZWEI] | Man kann nicht sagen, dass Boomer wirklich so
pflichtbewusst waren und sind, wie sich manche gern sehen. Der
gesellschaftsliberale Aufbruch nach 1968 hat auch sie ganz schön
individualisiert und um ihre eigenen Egos zentriert. Aber es gibt immer
noch Umgangsformen und Höflichkeiten. Wenn sie nun erleben, wie die
Twentysomethings diese mit Verweis auf die »eigenen Bedürfnisse« sprengen,
dann können sie nur noch mit dem Kopf schütteln. Irgendwann ist es auch mal
gut, würden sie in üblicher Manier sagen.
Aber so ist es doch immer; da, wo für die einen die Grenzen des
zivilisatorischen Miteinanders liegen, sehen die anderen die ultimative
Befreiung: Die Bedürfnis-Kids tun nur noch das, worauf sie Lust haben.
Auf wen diese geniale Idee eigentlich zurückgeht, sich befreit von
zwischenmenschlichen Verpflichtungen auch kurzfristig bedürfnisorientiert
zu verhalten, ist unklar. Aber die Entdeckung muss sich ungefähr so
zugetragen haben: Eine junge Frau trägt gerade nochmal schnell den
Lippenstift auf, um in fünf Minuten eine Freundin zu treffen, die dann aber
anruft und ins Telefon keucht: »Duuuu, mir wird’s gerade alles ein bisschen
zu viel, ich merke einfach gerade total, dass ich einen Abend auf dem Sofa
brauche.« Die befremdete Lippenstiftträgerin hatte sich damit nicht nur
selbst mühsam vom eigenen Sofa hochgequält, sondern stand nun auch noch vor
einem klaffenden Loch im durchgetakteten Sozialleben. Was blieb, war eine
neue Kultur, die sich rasend schnell ausgebreitet hat. Man sagt einfach
kurz vor einem fest verabredeten Termin: »Duuuu, ich fühle mich nicht
danach.«
Das ist schön und gut, und convenient, aber dann passiert es eben auch,
dass man auf einmal selbst allein auf der eigenen Geburtstagsparty sitzt
und einem nur noch die fünf Kästen Bier Gesellschaft leisten, die man
gerade noch schwitzend in den fünften Stock geschleppt hat. Und es gibt
noch ein Problem mit dieser Neuentdeckung: Die Emanzipation von
gesellschaftlichen Verbindlichkeits-Konventionen funktioniert nur, solange
die jungen Menschen unter sich bleiben.
Die Elterngeneration brüskiert es nicht nur, dass ihre Bedürfnis-Kids
kurzfristig absagen. Viel problematischer ist, dass sie dabei die Wahrheit
sagen. Bei den Boomern gehört es schließlich zum guten Ton, beim Absagen
routiniert Krankheiten zu simulieren. Die Ausrede »Halskratzen« war in
dieser Hinsicht während Corona ideal.
## Die eigene Fragilität immer vorn anstellen
Jetzt wird ein Geheimnis gelüftet: Das Problem der Boomer ist nicht, dass
die Gen-Z faul ist, sondern dass sie für ihre Bedürfnisse einsteht. Die
Bedürfnis-Kids haben sich derweil mit dem rätselhaften Selbstbewusstsein
der Ampel-Bundesregierung zur Fortschrittsgeneration erklärt. Und natürlich
haben sie auch schon ihre eigene rigide Etikette. Ein Geburtstagskind muss
auf eine Absage immer verständnisvoll reagieren.
»Duuu, ich schaff's einfach gerade nicht.« – »Klar, Mausi, achte da auf
dich.«
Drängeln und Quengeln wären nicht nur ein Fauxpas, sondern schon eine
Grenzüberschreitung. Man ist nicht nur selbst dafür verantwortlich, die
eigenen Grenzen zu kennen und für diese einzustehen, sondern alle um einen
herum sind ebenfalls damit beauftragt, diese Grenzen jederzeit zu achten.
Die eigene Fragilität immer vorn anzustellen, kann als ein Anhängsel des
kulturellen Fortschritts der Identitäts-Bewegung gesehen werden. Sie hat
eine neue Sensibilität manifestiert, in der es heißt »me, myself and I
first«.
Der Fokus auf die eigenen Bedürfnisse kommt aber auch noch aus einer
anderen Richtung. Psychologische Fachbegriffe sind IN. Da kann man als
Boomer jetzt auch wieder mit verdrehten Augen den allseits verrufenen
Gen-Z-Stempel draufdrücken, oder es als eine natürliche Reaktion auf eine
Welt sehen, in der an jeder Ecke der Burn-out lauert.
Denn ja, diese jungen Menschen fühlen sich zu Recht fragil: Sie sind
umgeben von Krisen, Kriegen und dem Verlust der Hoffnung auf eine immer
besser werdende Welt. Aber auch, wenn nichts über das Bling-Bling einer
gepflegten Runde Selbstmitleid geht, wollen wir hier ausnahmsweise mal
nicht zu weinerlich werden. Ohne jetzt jemandem seine Bedürfnisse
absprechen zu wollen: Eine disziplinierte Souveränität im Umgang mit eben
diesen macht jedes gemeinsame Projekt überhaupt erst möglich. Und wir haben
Großes vor.
Dieser Beitrag ist im Dezember 2023 in unserem Magazin taz FUTURZWEI N°27
erschienen.
2 Jan 2024
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## AUTOREN
Paulina Unfried
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