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# taz.de -- Wenn der Körper nicht mehr mitspielt
> Stress, Panikattacken und Schmerzen durch stundenlanges Üben: Viele
> Berufsmusiker*innen leiden unter gesundheitlichen Problemen. Das
> Hamburger Zentrum für Berufsmusiker kümmert sich um sie. Auch am
> Universitätsklinikum Eppendorf gibt es eine Sprechstunde
Bild: Manchmal hilft nur noch Physiotherapie: Schulter, Rücken, Handgelenk sin…
Von Sven Bleilefens
„Dieses Musikerdasein ist sehr, sehr, sehr vergleichbar mit dem absoluter
Leistungssportler“, sagt der Geiger Bogdan Dumitrascu. Wenn der Körper
nicht mitspiele, sei die Berufsausübung dahin. Während eine professionelle
Versorgung etwa im Fußball laut Dumitrascu „selbstverständlich“ sei, sieht
das Bild in der Musikbranche anders aus: „Wir haben nichts“, meint der
Violinist. Also fast nichts.
In Hamburg gibt es das Zentrum für Berufsmusiker, das unter Mitbegründerin
Heidi Brandi vor zehn Jahren mit dem Ziel einer professionellen
gesundheitlichen Betreuung für Musizierende entstanden ist. Abgedeckt
werden in dem speziellen Angebot sowohl psychische wie auch körperliche
Anliegen von Musizierenden. Das Team des Zentrums umfasst derzeit acht
Kooperationspartner. Die Hälfte sind Psychotherapeut*innen, weitere
Personen kümmern sich um die Bereiche der sogenannten Dispokinesis, eine
Körperarbeit, die gezielt auf die Bedürfnisse von Musizierenden hin
entwickelt worden ist; um Physiotherapie, Yoga sowie die Mimikresonanz,
eine Beschäftigung mit nonverbaler Kommunikation. Welcher dieser Bereiche
für eine Therapie geeignet ist, entscheidet sich nach einer ersten
Sprechstunde. Insgesamt betreut das Zentrum rund 120 Patient*innen
gleichzeitig.
Bogdan Dumitrascu kennt die Einrichtung schon lange, er kommt seit Jahren
ungefähr einmal im Monat zur Physiotherapie. Der 46-Jährige spielt seit
2002 die 1. Geige im Philharmonischen Staatsorchester Hamburg und hatte vor
Jahren mit starken Rückenschmerzen zu tun. Über seine Hausärztin ist er
dann auf das Zentrum gestoßen. Zunächst mussten die Ziele geklärt werden,
man habe ihm gesagt: „Ich kann dich sehr gerade hinbiegen, aber dann kannst
du nicht mehr Geige spielen.“ Doch Dumitrascu wollte eben nicht „gerade wie
ein Model rumlaufen, sondern Geige spielen ohne Schmerzen“. Der Violinist
sagt, er komme heute zur Prävention, damit er bis zum Rentenalter
leistungsfähig sei.
Typische Problemstellen für die als besonders gefährdet geltenden
Geiger*innen: Rücken, Schulter, Handgelenk. Zu seinem Musikeralltag
gehören nicht nur tägliche Auftritte, sondern auch stundenlanges Üben, das
Spielen des Instruments in eine Richtung geneigt und im Sitzen.
Laut einer Studie des Deutschen Musikerinformationszentrums machen
mindestens 150.000 Menschen in der Bundesrepublik beruflich Musik, doch nur
30 Prozent können dies, wie Dumitrascu, ohne zusätzliche Nebentätigkeiten
tun. Sie verbringen dann im Durchschnitt 37 Stunden in der Woche mit der
Musik, teilweise sind es über 50 Stunden.
Im Gegensatz zum Profisport streben die wenigsten Musiker*innen ein
Karriereende im Alter von Mitte 30 an. Sandra Klug von der
Verbraucherzentrale Hamburg sagt der taz: „Berufsmusizierende gegen das
Risiko Berufsunfähigkeit abzusichern, ist nicht einfach und zudem auch sehr
teuer. Berufsmusizierende werden sicherlich als hoch risikoreich
eingestuft.“ Sie rechnet vor: Eine heute 33 Jahre alte Person müsse
monatlich etwa 250 Euro im Monat für eine Berufsunfähigkeitsrente in Höhe
von 1.500 Euro zahlen.
Am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf gibt es seit April 2019 ebenfalls
eine Sprechstunde für Musizierende. Dort heißt es: „Bitte bringen Sie zum
Beratungstermin neben Ihrer Versichertenkarte auch Ihr Musikinstrument
mit.“ Die Ambulanzbehandlungen werden über die Krankenkasse abgerechnet,
Zuzahlungen entstehen keine.
Mitarbeiter David Baaß schreibt auf Anfrage der taz: „Anfänglich war die
Nachfrage noch verhalten und pandemiebedingt musste die Sprechstunde
zeitweise aussetzen. Seit April 2021 läuft die Sprechstunde regulär und
seitdem steigt die Nachfrage kontinuierlich an.“ Der größte Anteil entfalle
dabei auf Musikstudierende sowie Berufsmusiker*innen, insgesamt wurden
bereits rund 170 Patient*innen behandelt.
Auch andere Hochschulstandorte wie Hannover, Freiburg oder Berlin, die
Angebote für (angehende) Musiker*innen bereitstellen, haben den Aufbau
der Sprechstunde am UKE laut Baaß „sehr unterstützt“. Das Team des UKE
kooperiert auch mit der deutschen Gesellschaft für Musikermedizin, die seit
1994 besteht. Ebenso verfährt das Zentrum für Berufsmusiker, das zudem mit
der Schweizer und Österreicher Gesellschaft einen ständigen Austausch
pflegt. Hier werde laut Brandi in erster Linie diskutiert und informiert.
Im Zentrum für Berufsmusiker ist die Prävention für die mentale Gesundheit
Schwerpunkt. Bogdan Dumitrascu beobachtet in seinem Berufsumfeld noch immer
eine gewisse Hemmschwelle, solche Angebote wahrzunehmen: „Die Älteren reden
nicht darüber“, sagt er im Hinblick auf gesundheitliche Sorgen. Trotz eines
Bewusstseinswandels in jüngeren Generationen, Hilfe in Anspruch zu nehmen,
passiert aus Sicht von Heidi Brandi gerade in der Ausbildungszeit des
Nachwuchses in Bezug auf die Prävention „immer noch viel zu wenig“. Im
Übergang zum Probespiel für das Orchester verspürten viele junge
Absolvent*innen einen enormen Druck.
Ein solcher Fall: „Aufgrund verschiedener Anliegen – häufige Erschöpfung …
Alltag, gelegentliche Panikattacken, Aufregung und Stress bei Probespiel,
Selbstzweifel – habe ich Interesse an einem Erstgespräch mit Ihnen und
hoffe, dass Sie mir weiterhelfen können.“ So fängt es oft an, sagt Heidi
Brandi zu diesem Auszug aus einem Anschreiben an ihre Einrichtung.
Viele junge Leute melden sich beim Hamburger Zentrum für Berufsmusiker,
dessen Aufnahmekapazitäten an seine Grenzen stoßen. Als Reaktion bieten sie
nun einzelne Seminarveranstaltungen an und planen Gruppenangebote für das
kommende Jahr. Laut Brandi kommt etwas mehr als die Hälfte der Anfragen von
außerhalb der Hansestadt, darunter auch viele Sänger*innen. Zusammen
versuchen sie etwa mit einem individuellen Bühnentraining und damit
verbundenen Videoanalysen, innerhalb eines Jahres Fortschritte zu
erreichen, denn für Brandi steht fest: „Bühnenpräsenz ist erlernbar und
kein Schicksal.“
Geiger Bogdan Dumitrascu schaffte als 25-Jähriger den Sprung ins Orchester
und muss sich darum nicht mehr sorgen. Für ihn heißt es vor allem: gesund
bleiben. Denn bis zum regulären Eintritt in die Rente müsste er noch
genauso lange spielen wie bisher, nämlich 21 Jahre.
29 Jan 2024
## AUTOREN
Sven Bleilefens
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