| # taz.de -- „Hier bin ich in Frieden“ | |
| > Im saudischen Dschidda findet die Klub-WM statt. Dort kickt Fußballstar | |
| > Karim Benzema und betont seine religiöse Verbundenheit zu seiner | |
| > Wahlheimat | |
| Bild: Karim Benzema bei seiner Vorstellung bei Al-Ittihad im Juni | |
| Aus Dschidda Ronny Blaschke | |
| Karim Benzema ist in Mekka der bekannteste Pilger, aber äußerlich | |
| unterscheidet er sich nicht von anderen Gläubigen. Der französische | |
| Fußballer trägt zwei weiße Tücher. Das eine ist um die Hüfte gebunden und | |
| bedeckt den Körper bis zu den Knien, das andere ist um die rechte Schulter | |
| geworfen. Hinter ihm ist in der Dunkelheit die Kaaba zu sehen, das „Haus | |
| Gottes“, das zentrale Heiligtum des Islams im Innenhof der Moschee. | |
| Benzema veröffentlicht dieses Video Anfang August auf X, früher Twitter. Es | |
| zeigt ihn bei der Umra, der kleinen Pilgerfahrt, die im Gegensatz zur | |
| großen, der Haddsch, jederzeit im Jahr durchgeführt werden kann. Auf X | |
| versieht er den Clip mit dem Kommentar: „L’Unique Vérité“. Die eine | |
| Wahrheit. | |
| Auf dem Video wirkt Benzema in sich gekehrt, wie in einem privaten Moment. | |
| Doch davon kann keine Rede sein. Allein auf X wurde das Video zehn | |
| Millionen Mal angesehen. Es ist das Dokument eines religiösen Rituals – | |
| aber auch ein Symbol für den Wandel von Saudi-Arabien. | |
| Karim Benzema, 35, hat es als Stürmer von Real Madrid zu großem Ruhm | |
| gebracht, 2022 wurde er als Weltfußballer ausgezeichnet. Doch vor wenigen | |
| Monaten schloss er sich Al-Ittihad in Saudi-Arabien an. Der Traditionsklub, | |
| gegründet 1927, ist in der Hafenstadt Dschidda beheimatet. Von dort ist es | |
| nicht weit bis zu den wichtigsten heiligen Stätten des Islam. Die Kaaba von | |
| Mekka ist eine Autostunde entfernt und bis zur Prophetenmoschee von Medina | |
| sind es vier Autostunden. Bis Freitag findet nun in Dschidda die | |
| Fußball-Klub-WM statt. An diesem Dienstag steigt Manchester City in den | |
| Wettbewerb ein. Der Gegner: Urawa Red Diamonds aus Japan. | |
| „Ich habe mich für Saudi-Arabien entschieden, weil ich Muslim bin und es | |
| ein muslimisches Land ist“, sagte Benzema in einem Interview für seinen | |
| Klub. „Für mich ist es der Ort, an dem ich sein möchte, hier bin ich in | |
| Frieden.“ Viele warfen Benzema Heuchelei vor, schließlich soll er bei | |
| Al-Ittihad ein Jahresgehalt von mehr als 90 Millionen Euro erhalten. Doch | |
| gerade in der arabisch-muslimischen Welt wurde Benzema gefeiert. | |
| Für das saudische Königshaus könnten sich die Investitionen in den Fußball | |
| lohnen. International, weil die emotionalen Diskussionen über Spieler wie | |
| Benzema, Ronaldo oder Neymar die Kritik an Menschenrechtsverletzungen | |
| überdecken. Vor allem aber im eigenen Land: Saudi-Arabien muss seine | |
| Abhängigkeit von den Erdöleinnahmen verringern und will neue | |
| Wirtschaftszweige aufbauen, insbesondere für Tourismus und | |
| Dienstleistungen. Um die Identifikation der jungen Bevölkerung für die | |
| Transformation zu stärken, schürt der Kronprinz Mohammed bin Salman einen | |
| saudischen Nationalismus. | |
| Über Generationen dominierte der Wahhabismus den Alltag, eine streng | |
| konservative Strömung des sunnitischen Islams. Das asketische Verständnis | |
| der Wahhabiten lehnt die Konsumgesellschaft ab, also auch Unterhaltung, | |
| Musik und die Verehrung menschlicher Leistungen. Lange blieben Kinos und | |
| Konzertsäle verschlossen. Frauen durften Sportwettbewerbe von Männern nicht | |
| besuchen. Dieses System galt als stabil, zumindest bei einem hohen Ölpreis, | |
| denn damit war der allgemeine Wohlstand gesichert. | |
| Doch nun ist der Wohlstand für die schnell wachsende Bevölkerung nicht mehr | |
| sicher. De-facto-Herrscher Mohammed bin Salman wünscht sich eine „Rückkehr | |
| zum moderaten Islam“. Wie dieser moderate Islam aussehen kann, davon kann | |
| man sich in Al Balad ein Bild machen, in der Altstadt von Dschidda. | |
| Durch die Gassen wabern die Gerüche von Backwaren und Fleischgerichten. Auf | |
| einem zentralen Platz ist an einer Häuserfassade ein großes Plakat | |
| angebracht. Darauf ist in der Mitte Karim Benzema mit verschränkten Armen | |
| abgebildet. Viele Mekka-Pilger machen ein Foto von sich und dem Fußballer. | |
| Einige von ihnen ziehen dann weiter in den nördlichen Stadtteil zum Museum | |
| über die Geschichte von Al-Ittihad. Wimpel, Trikots und Pokale sind dort | |
| ausgestellt, dazwischen Fotos des saudischen Königs und des Kronprinzen. | |
| Muslimische Fußballer thematisieren ihre spirituelle Verbundenheit mit | |
| Saudi-Arabien: Sadio Mané, früher Liverpool, inzwischen bei Al-Nassr in | |
| Riad. Seko Fofana, einst RC Lens, nun ebenfalls Al-Nassr. Und Riyad Mahrez, | |
| früher Manchester City, mittlerweile in Dschidda bei Al-Ahli. Ihre | |
| Bekanntheit könnte das saudische Regime gewöhnlicher erscheinen lassen. Bis | |
| 2030 sollen jährlich 100 Millionen Touristen ins Land kommen, fünfmal so | |
| viele wie 2022. | |
| Im Zentrum der Aufmerksamkeit steht Karim Benzema. Am Nationalfeiertag | |
| Saudi-Arabiens, am 23. September, veröffentlichte er ein Foto von sich im | |
| traditionellen Thawb, im weißen knöchellangen Gewand. Benzema wird für | |
| solche Posts in der arabischen Welt gefeiert, aber auch in Saudi-Arabien | |
| ist die milliardenschwere Sportoffensive nicht unumstritten. Wegen großer | |
| Bauprojekte und Renovierungsmaßnahmen müssen in Dschidda etliche Familien | |
| ihre alten Häuser verlassen. Laut Weltbank liegt die Jugendarbeitslosigkeit | |
| in Saudi-Arabien bei 24 Prozent. | |
| Und dann wäre da noch die arabisch-muslimische Solidarität. Beim Krieg im | |
| Nahen Osten positionierte sich Benzema früh für die Palästinenser. Er | |
| postete: „Alle unsere Gebete gelten den Bewohnern von Gaza, die wieder | |
| einmal Opfer dieser ungerechten Bombardierungen sind, die weder Frauen noch | |
| Kinder verschonen.“ Für die saudische Monarchie dürfte das zu weit gehen. | |
| Palästinensische Flaggen sind in den Stadien von Riad, Dschidda oder Mekka | |
| untersagt. Der Kronprinz arbeitet an pragmatischen Beziehungen zu Israel | |
| und ist auf dessen wichtigsten Partner, die USA, militärisch angewiesen. | |
| Auch Karim Benzema dürfte das inzwischen wissen. Der Weltfußballer von 2022 | |
| äußert sich nur noch zu politisch-religiösen Fragen, wenn es dem Königreich | |
| dienlich ist. | |
| 19 Dec 2023 | |
| ## AUTOREN | |
| Ronny Blaschke | |
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