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# taz.de -- Malen, wie’s dem Markt gefällt
> In Wedel hat man Leon Löwentraut mit dem Barlach-Preis geehrt: Der
> Jungmeister dekorativer Sinnlosigkeit passt bestens zum Ambiente des
> Museums im Geburtshaus des Bildhauers
Bild: Bilder von Leon Löwentraut sind derzeit am Standort Wedel in den Farben …
Von Hajo Schiff
Sensation! Der international gefeierte junge neue Picasso kommt nach Wedel
– so wäre wohl die gewünschte Meldung, nachdem der Ernst Barlach Preis 2023
an Leon Löwentraut vergeben wurde. Tatsächlich hat das für ein breites
Medienecho gesorgt, eine überfüllte Vernissage – und für einiges
Stirnrunzeln vieler Kunstprofis.
Leider eher wenig beachtet vergibt die Ernst Barlach Gesellschaft seit 1995
in unregelmäßigen Abständen einen undotierten Förderpreis an junge
Künstler. Sonst durch einen renommierten Museumskurator als Juror
ausgewählt, hat diesmal der siebenköpfige Vorstand selbst den Künstler
bestimmt. Der ist mit 25 Jahren zwar auch jung, aber bereits ein Top-Star
mit Hunderttausenden von Followern in den sogenannten sozialen Medien. Eine
Videowand im Eingangsbereich des Wedeler Museums zeigt Momente seiner
glamourösen internationalen Auftritte zwischen der Schweiz und den USA samt
dem schon mal nach seinem Design angestrahlten Brandenburger Tor.
Alle in Wedel gezeigten Bilder sind fast nur Varianten von idealen
Porträts. Als kaum fassbare Typologien werden die Gesichter mehrschichtig
multivalent aufgelöst interpretiert. Sie sind vor starkfarbigen
Hintergründen zersplittert und von einem bunten mehrlagig kreiselnden
Liniengewirr belagert und umfangen, das meist dick aus der Farbtube
gedrückt auf dem Boden gemalt wurde. Das ist durchaus gekonnt – besonders
die wenigen reduzierten Kohlezeichnungen zeigen eine gewisse formale
Eleganz, vor allem weil dabei auf die unsäglich übermäßig eingesetzte
Goldfarbe und den rokokohaften Überschwang verzichtet wird.
Leon Löwentraut malt mit großer Begeisterung seit seinem siebten
Lebensjahr. Es ist eine autodidaktische, eher flache Kunst, mit Bildern,
wie der neureiche Börsenspekulant sie sich so schön genialisch wild
vorstellt. Und der sich damit in unfreiwilliger Ironie von etwas
beeindrucken lässt, was mit allem Bling-Bling noch viel spekulativer ist,
als das eigene geschäftliche Agieren. Das Frühbegabte, das von den
Kunstinstanzen von Schule und Hochschule verkennend abgelehnt Geniale, ist
ein altes und weiter sehr populäres Klischee: Es wird von Leon Löwentraut
zeitgemäß und sehr erfolgreich wiederbelebt und eingesetzt.
Schade, dass die Düsseldorfer Akademie ihn dereinst nicht angenommen hat.
Denn in den Hochschulen geht es auch darum, den jungen KünstlerInnen die
Flausen auszutreiben, dass alles irgendwie Gemalte schon ein gültiges
Kunstwerk sei. Die meisten Akademieausbildungen beginnen damit, die
jugendlichen, allzu frühreifen Fertigkeiten zur besseren Erlangung eines
künstlerischen Kerns radikal in Frage zu stellen.
Es wäre dem keineswegs unsympathischen jungen Mann ein gestrenger Professor
zu wünschen, der sein Talent sinnvoll steuern könnte. „Das will zu schnell
Kunst sein“ lautet der dazu gern zitierte Satz der akademischen
Qualitätsprüfung. Doch ohne solche Rahmung bleibt bei Löwentraut jenes
Klischeebild von Kunst, wie es in den Bewerbermappen für die Akademien so
oft zu finden ist: Durchaus populär wiedererkennbar, aber eben nicht
wirklich begründete Kunst. Denn solche Künstler und ihr zahlungswilliges
Fanpublikum wissen genau, wie „gute Kunst“ geht – und gerade das ist eben
der Fehler. Das Großartige der autodidaktischen Selbstermächtigung
scheitert aufgrund nie erfahrener diskursiver Kritik.
Und so wird der in Düsseldorf und auf einer Finca in der portugiesischen
Algarve lebende Künstler, der im Gespräch Marketing in naiver
Ernsthaftigkeit ablehnt, zum guten Objekt für jenen Randbereich der
vielfältigen Künste, der nicht ins Feuilleton, sondern in die
Klatschspalten gehört. Da dann ist er der Teuerste und Beste. Es findet
sich immer irgendjemand, der seine Kunstinszenierun glaubt und ihn als
„jungen neuen Picasso“ abfeiert. Jeder am Hungertuch nagende Kunststudent
(ja – auch das ein Klischee) kann nur vor Neid erblassen. Und der
traditionelle Kunstverstand muss verzweifeln.
Doch sich auf den Kunstmarkthype allzu sehr zu verlassen ist gefährlich und
vielleicht vorübergehend. Löwentraut möchte abstrakter werden (was immer
das heute noch bedeuten kann) und strebt eine gesicherte Bedeutung in den
Sammlungen der Kunstmuseen der Welt an. In Wedel wurde ihm nun schon mal
erfolgreich der rote Teppich ausgelegt, aber nicht ohne Widerspruch und
ganz sicher nicht im Geiste Barlachs.
Auch der Rückblick auf zehn Jahre künstlerische Produktivität ändert nichts
– eine Retrospektive im Alter von 25 ist ohnehin etwas seltsam. Das ganze
Phänomen Leon Löwentraut bleibt samt gut geschmierter PR-Agentur und Rolls
Royce, Hollywoodprominenz und auch schon mal dem prominenten Geiger David
Garett als Vernissagenmusiker vor allem POP, ein glamouröses und
kostspieliges Societyspiel.
Selbst wenn Leon Löwentraut im Gespräch glaubhaft auf dem Wunsch zur
Entwicklung beharrt, vorerst bleibt das Gesamtpaket seiner ihn umgebenden
Marketingstrategie überdominant. Selbst die Preisbegründung des Vorstandes
der Barlach-Gesellschaft betont diese besondere Leistung seiner perfekten,
angeblich neue Kreise für die Kunst werbenden Vermittlung.
Dabei ist die Barlach Gesellschaft ohnehin eine vielschichtige Firma. Neben
dem Museum in Barlachs Geburtshaus in Wedel und der stark multimedial
beeindruckenden Barlach-Gedächtnisausstellung im späteren Wohnhaus der
Familie in Ratzeburg bietet die Gesellschaft einige Dienstleistungen: Den
kunsthistorisch immer etwas problematischen Verkauf verkleinerter Repliken
von Skulpturen Barlachs und anderer Gadgets sowie Kunstberatung bis hin zur
Vermittlung ganzer Ausstellungen.
So hat sie Ernst Barlach in St. Petersburg und in Kyjiw bekannt gemacht,
hat aber auch eine Fotostrecke zu den Beatles im Angebot. Mag nun diese
Barlach-Preis-Aktion der Bekanntheit der Institution helfen und die Preise
der Bilder weiter steigen lassen – die dekorative Sinnlosigkeit der
ausgestellten Bilder Leon Löwentrauts gehört bislang jedenfalls eher in ein
Möbelhaus, als in ein Museum.
[1][Barlach Kunstmuseum] Wedel, Mühlenstraße 1, bis 28. 1.
12 Dec 2023
## LINKS
[1] http://www.ernst-barlach.de
## AUTOREN
Hajo Schiff
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