# taz.de -- debatte: Es läuft für Lukaschenko | |
> Der belarussische Diktator schien zu wanken, jetzt steht er stabil da. | |
> Das liegt auch daran, dass der Westen ihn aus taktischen Gründen schont | |
Ende November begab sich Alexander Lukaschenko auf eine ungewöhnliche | |
Reise: Der 69-jährige belarussische Autokrat trat zunächst bei der | |
UN-Klimakonferenz in Dubai auf, flog anschließend nach China und tauchte | |
erneut in den Vereinigten Arabischen Emiraten auf, um von dort aus noch | |
eine Afrika-Tour mit den Zielen Äquatorialguinea und Kenia zu absolvieren. | |
Nach einem weiteren Zwischenstopp in Dubai kehrte Lukaschenko sichtlich | |
zufrieden nach Belarus zurück. Der Staatschef, der in Belarus 1994 an die | |
Macht gekommen war und dort eine Diktatur samt Personenkult aufgebaut hat, | |
wähnt krude Verschwörungstheorien und befürchtet ein Komplott westlicher | |
Geheimdienste. So sind seine Auslandsreisen meistens eher kurz. Die | |
erwähnte Reise hingegen dauerte zwei Wochen. Nun sieht Lukaschenko offenbar | |
seine Herrschaft, die während der Proteste 2020 zu bröckeln schien, | |
dermaßen stabil und gefestigt, dass er sich eine längere Auszeit gönnt. | |
Diese Entwicklung war vor ein paar Monaten noch kaum vorstellbar. Im | |
Februar blamierten sich belarussische Geheimdienste als sie einen | |
spektakulären Drohnenangriff auf ein russisches Aufklärungsflugzeug nahe | |
Minsk – wohl eine Aktion proukrainischer Partisanen – nicht verhindern | |
konnten. Im Mai zeigte sich Lukaschenko in der Öffentlichkeit | |
gesundheitlich angeschlagen, wobei etliche Regimegegner*innen in ihrem | |
Wunschdenken über den baldigen Tod des Diktators spekulierten. | |
In der zweiten Jahreshälfte ging es jedoch für Lukaschenko bergauf. Die | |
befürchtete Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage blieb dank der | |
massiven russischen Unterstützung aus. Bei der Prigoschin-Meuterei in | |
Russland präsentierte sich der belarussische Staatschef als Vermittler und | |
Friedensstifter. Die Verlegung der berüchtigten Wagner-Söldnertruppe nach | |
Belarus und die von Lukaschenko ersehnte Stationierung russischer | |
taktischer Atomwaffen auf belarussischem Gebiet machten die internationale | |
Öffentlichkeit auf das Regime aufmerksam. Da Minsk keine seiner Truppen in | |
die Ukraine entsandt hat und im Krieg weiterhin eher eine passive Rolle | |
spielt, sehen die USA und die EU von weiteren empfindlichen | |
Wirtschaftssanktionen gegen Belarus ab. | |
Innenpolitisch hat er momentan nichts zu befürchten: Die Nomenklatura | |
bleibt ihm treu. Seine politischen Widersacher*innen sind entweder in | |
Haft oder im Ausland. Das politische Leben ist steril. Das Regime treibt | |
seine Repressionspolitik voran, wobei der KGB und weitere Sicherheitsorgane | |
fleißig potenzielle und tatsächliche Regimegegner*innen jagen. Die | |
Zahl der politischen Gefangenen beträgt aktuell rund 1.500 Menschen. In der | |
Rangliste der Pressefreiheit der NGO Reporter ohne Grenzen rangiert Belarus | |
auf dem Platz 157 – zwischen den Palästinensischen Gebieten und Nicaragua. | |
Als trauriges Symbol der Repressionen und gleichzeitig der politischen | |
Ohnmacht des Westens gilt der zu 10 Jahren Haft verurteilte | |
Nobelfriedenspreisträger 2022 Ales Bjaljazki. | |
In Europa und den USA werden die Menschenrechtsverletzungen in Belarus | |
registriert, die Freilassung politischer Gefangener wird gefordert. Die | |
westliche Kritik, der meistens keine politischen Schritte folgen, wird vom | |
belarussischen Regime jedoch ignoriert oder schlichtweg verspottet. | |
Lukaschenko lästert gern über Schwäche und Inkonsequenz des Westens. Und | |
leider liegt er dabei nicht immer falsch: Obgleich Lukaschenkos Mitwirkung | |
an von Moskau organisierten Deportationen ukrainischer Kinder von Minsk | |
nicht einmal geleugnet wird, erließ der Internationale Strafgerichtshof | |
noch nicht den von Lukaschenko gefürchteten Haftbefehl – wohl aus | |
taktischen Gründen, um den Autokraten nicht zu einer stärkeren | |
Zusammenarbeit mit Russland zu animieren. | |
Während der Westen Lukaschenko vor allem als eine russische Marionette | |
wahrnimmt und die Situation in Belarus nicht beeinflussen kann, baut der | |
Kreml kontinuierlich seinen wirtschaftlichen, politischen, kulturellen und | |
ideologischen Einfluss auf den „kleinen Bruderstaat“ aus. Im Gegensatz zu | |
Kasachstan und zu weiteren postsowjetischen Staaten, die – um Neutralität | |
bemüht – seit dem russischen Überfall auf die Ukraine auf Distanz zum Kreml | |
gehen, steht Belarus fest an der Seite Russlands. Lukaschenko profiliert | |
sich als treuester Freund der Russischen Föderation. Moskau hat kaum | |
Gründe, mit ihm unzufrieden zu sein; manchmal bereitwillig, manchmal wohl | |
unter Druck macht er genau das, was Russland von ihm erwartet. | |
Noch vor drei Jahren als eine „politische Leiche“ abgeschrieben, kann | |
Europas dienstältester Diktator nun mit verhaltenem Optimismus in die | |
Zukunft blicken. Im Juli 2024 hofft Lukaschenko sein 30. Jubiläum an der | |
Spitze der Republik Belarus zu feiern. Ein Monat später wird der Staatschef | |
70. | |
Amtsmüdigkeit ist bei ihm inzwischen häufiger zu beobachten. Auch sein | |
Gesundheitszustand lässt wohl zu wünschen übrig. Die nächste | |
Präsidentschaftswahl steht 2025 an, und so muss Lukaschenko bald seine wohl | |
schwierigste politische Entscheidung treffen: noch mal kandidieren oder | |
sich zurückziehen und – etwa als Vorsitzender der „Allbelarussischen | |
Volksversammlung“ – die Politik des installierten Nachfolgers | |
kontrollieren? | |
Die Entscheidung ist kompliziert für einen Autokraten. Die Tatsache, dass | |
sein auf die „Sammlung der russischen Erde“ bedachter Intimfreund Wladimir | |
Putin unbedingt weitermachen und den Krieg gegen die Ukraine fortführen | |
will, macht sie noch schwieriger. Hinzu kommt die Gefahr einer juristischen | |
Verfolgung aufgrund von Menschenrechtsverletzungen und der Mitwirkung am | |
Ukrainekrieg, die Lukaschenko bis ans Ende seines Lebens begleiten wird. | |
Den Diktator erwartet ein schwieriges wie bewegtes Jahr. Noch kann er aber | |
das Jahr 2023 gemütlich ausklingen lassen. Es war ein gutes Jahr für ihn | |
und ein schlechtes Jahr für Belarus. | |
29 Dec 2023 | |
## AUTOREN | |
Alexander Friedman | |
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