# taz.de -- das wird: Nicht allen schlägt die Stunde gleich | |
> Zeit als sozialem Faktor hat Teresa Bücker ein Buch gewidmet. In Hamburg | |
> liest sie daraus | |
„Ich habe keine Zeit“, ist ein Satz, den wir alle schon einmal gesagt | |
haben. Laut der Journalistin Teresa Bücker ist zu wenig Zeit aber kein | |
individuelles, sondern ein gesellschaftliches Problem, das gelöst werden | |
kann. Darüber hat sie das Sachbuch „Alle_Zeit – eine Frage von Macht und | |
Freiheit“ geschrieben, für das sie vor Kurzem den Sachbuchpreis des NDR | |
gewonnen hat. Am Donnerstag liest sie daraus in Hamburg. | |
Verteilung von Zeit ist laut Bücker eine Frage der Gerechtigkeit. Deshalb | |
fordert sie eine neue Zeitkultur, die darüber nachdenkt, wie Zeit unserer | |
Gesellschaft eine neue Richtung geben kann. Dabei berücksichtigt sie | |
Erwerbsarbeit, Care, Kinder, politisches Engagement und Zeit für sich, die | |
einen nach der Lektüre noch lange über den eigenen Umgang mit Zeit | |
nachdenken lassen. Ihr gelingt es, ein hoffnungsvolles Bild von einer | |
Gesellschaft zu zeichnen, die den Umgang mit Zeit neu begreift und in der | |
menschliche Bedürfnisse nicht mehr hinter Erwerbsarbeit zurückstehen | |
müssen. Durch eine neue Definition von Zeit könnte ein Zusammenleben | |
gelingen, das selbstbestimmte Lebensmodelle für alle zugänglich macht und | |
so soziale Gerechtigkeit herstellt. | |
Laut Bücker leben wir in einem erwerbsarbeitszentrierten | |
Gesellschaftsmodell. Das verhindere Inklusion und Vielfalt – und damit eine | |
lebendige, weltoffene Gesellschaft. So wie Erwerbstätigkeit heute in | |
kapitalistischen Kulturen ausgestaltet sei, verschärfe sie Ungleichheiten. | |
Als normales Arbeitszeitmodell gilt nach wie vor die Vollzeitbeschäftigung | |
– die Bücker zufolge aber von männlichen und kapitalistischen | |
Lebensentwürfen ausgeht. Klug kritisiert sie dies und denkt auch | |
Care-Arbeitende, Menschen mit Behinderungen, physisch und psychisch Kranke, | |
Alleinerziehende und anderweitig diskriminierte Menschen mit, die von | |
diesem Modell nicht profitieren und für die lange Arbeitstage nicht | |
zwangsläufig mehr Geld zum Leben bedeuten. Sie bietet Lösungen an: Statt | |
zum Beispiel mehr Menschen in 40-Stunden-Jobs zu drängen, könnte ein | |
geringerer Vollzeitumfang und damit ein Übernehmen von Aufgaben eine Lösung | |
sein. Dafür müssten die Mittel- und Oberschicht den Anspruch auf billige | |
persönliche Leistungen aufgeben. Bücker entwickelt in ihrem Buch ein neues | |
Verständnis von Arbeit, das auch Tätigkeiten wie Care-Arbeit und | |
politisches Engagement umfasst. | |
Soziale Beziehungen und eine demokratische Gesellschaft könnten so gestärkt | |
werden. Bücker sieht die wichtigste menschliche Qualität darin, dass wir | |
für ein würdevolles Leben aller Menschen Sorge tragen. Zeit für Care, Zeit | |
für sich selber sowie für politisches Engagement sei für die | |
Selbstbestimmung immens wichtig. Wie wir mit Zeit umgehen, ist kein | |
unveränderbarer Zustand. Menschen können sich hinter dem Begriff einer | |
gerechten Zeitkultur versammeln und Forderungen an die Politik stellen, die | |
ihr Leben lebenswerter machen, schreibt Bücker. Sie verweist aber auch auf | |
die Probleme politischen Engagements, denn die ungerechte Verteilung von | |
Zeit ist ein demokratisches Problem. Die derzeitige Demokratie bezeichnet | |
sie als elitär. Engagement muss durch Entlastung von Aufgaben für alle | |
möglich sein. Aktuell sei Politik ein Beruf, der nur wenigen offen steht. | |
Politisches und ehrenamtliches Engagement bestimmen aber darüber, welche | |
Themen Beachtung finden. Ein Teufelskreis. | |
In ihrem Buch hinterfragt Bücker, was für unsere Gesellschaft „normal“ is… | |
Dies mag an manchen Stellen wehtun, doch lässt zugleich der Gedanke an mehr | |
freie Zeit, in der wir „versinken“ können, ohne etwas leisten zu müssen, | |
lächeln: „Zeit kann Freundin und Vertraute sein, wenn wir verstehen, dass | |
sie zu uns gehört“, schreibt Bücker. Nina Spannuth | |
6 Dec 2023 | |
## AUTOREN | |
Nina Spannuth | |
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