# taz.de -- das wird: „Giselle ist der Männerwelt entsprungen“ | |
> Mónica García-Vicente blickt in Hannover und Braunschweig feministisch | |
> aufs Tutu-Ballett | |
Interview Neele Fromm | |
taz: Haben Sie mal die Rolle der Giselle getanzt? | |
Mónica García Vicente: Ja, am Anfang meiner Karriere. Begonnen habe ich als | |
klassische Tänzerin. Ich habe diese Rolle getanzt, als ich Teil der | |
Kompanie Victor Ullate war. Dort haben wir viel klassisches Repertoire | |
getanzt. Aber nach drei Jahren habe ich entschieden: ich möchte in eine | |
andere Richtung gehen. Jetzt kann ich in meiner choreographischen und | |
künstlerischen Arbeit mehr ausdrücken. | |
Hat Ihr Stück „I am [not] Giselle“ überhaupt noch mit Adolphe Adams Balle… | |
zu tun? | |
Nein, ich habe es nur als Inspiration genommen. Ich habe mich immer | |
gewundert, dass diese romantisierte Geschichte von ihrer Protagonistin nur | |
als fragilem, naivem und schönem Mädchen spricht. Dabei war die Realität | |
der Entstehungszeit und das Leben der Frauen wirklich anders. Dieses | |
Vorbild der Giselle ist ein patriarchales Bild, der Männerwelt entsprungen. | |
Für mich war es nicht immer bequem, diese einseitige Geschichte zu tanzen. | |
Sie vermissen es nicht? | |
Es war zwar schön als Tänzerin, aber sobald ich mich in die Geschichte | |
dahinter vertiefte, verstand ich nicht mehr, warum ich das ausgerechnet so | |
spielen soll. | |
Worum geht es in Ihrer jetzigen Produktion? | |
„I am [not] Giselle“ zeigt, dass die Figur der klassischen Tänzerin im | |
Konflikt mit der Realität steht. Wichtiger ist, was hinter der Bühne | |
passiert. Da sind zwei Darstellerinnen, die Gegensätze bilden. Diese suchen | |
sich über das ganze Stück, denn sie wollen eine Einheit bilden. Das Reale | |
hinter dem Vorhang und die sichtbare Fassade vor dem Vorhang sollen vereint | |
werden. Wenn wir auf „Giselle“ gucken, dann sehen wir Fragilität, Naivitä… | |
Leichtigkeit. Gegenübergestellt sehen wir die reale Frau hinter dem | |
Vorhang, die wie so viele andere Gewalt erfahren hat. | |
Ist das eine feministische Neuinterpretation? | |
Ja, ich finde das hat viel mit einer feministischen Ausrichtung zu tun. In | |
meiner Arbeit spreche ich schließlich als Frau über meine Erfahrungen: über | |
meine Erfahrung als Tänzerin, ich bin auch Mutter. Ich sehe mich nicht | |
direkt als feministisch, aber ich bin eine Person, die Unsichtbarem gerne | |
Sichtbarkeit verleihen will. Das inspiriert mich. | |
Wieso ist dieser neue Zugriff auf klassische Stücke dafür wichtig? | |
Weil die klassischen Stücke immer tänzerische Hochtechnik, die Leichtigkeit | |
beinhalten, aber nicht die Geschichte hinter der schönen Fassade zeigen. | |
Was passierte in dieser romantischen Zeit? Warum waren die Tänzerinnen so, | |
wer hat sich das gewünscht? | |
Auch, um den von Männern choreografierten Frauenbildern etwas entgegen zu | |
setzen? | |
Ich habe immer in großen Theatern gearbeitet und wir waren im | |
Ballettensemble immer eine Hälfte Männer, die andere Hälfte Frauen. Aber | |
wenn intern die wichtigen Stellen ausgeschrieben wurden, hatte ich | |
anschließend wieder einen Chef. Nie eine Chefin. Heutzutage ändert sich das | |
langsam. Aber es war für mich hundertmal schwieriger, die Stelle zu | |
bekommen, als es das für einen Mann war. | |
Sie bezeichnen Ihr Stück als Tanzperformance und Tanztheater. Wo ist der | |
Unterschied zum Ballett? | |
Ballett kann man nur in diesem klassischen Alphabet tanzen. Du bleibst in | |
einer Box, einem Rahmen. Bei einer Tanzperformance hingegen kannst du alle | |
Stile benutzen. Man ist ganz frei und folgt keinen Regeln oder | |
Vorschriften. Mein Stück zum Beispiel beginnt mit einem Hochniveau an | |
Körpersprache im Tanz, geht aber immer weiter in Richtung Theater. | |
5 Dec 2023 | |
## AUTOREN | |
Neele Fromm | |
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