# taz.de -- Sich endlich mal wieder so richtig doof fühlen | |
> Ima-Abasi Okon möchte das Publikum nicht gängeln, sondern zu eigenen | |
> Gedanken animieren: Im Kunstverein Hamburg macht sie ihm dafür klar, wie | |
> dumm es ist | |
Bild: Detail der Installation „Aprecise peaking and tapering dignity tool; A … | |
Von Hajo Schiff | |
Kunst darf anspruchsvoll sein. Doch die aktuelle Ausstellung im Hamburger | |
Kunstverein schraubt sich textlastig in die Bereiche von Abschlussarbeiten | |
im kultursoziologischen Oberseminar. Für Teilhabe wäre es wünschenswert, | |
auf demselben Niveau wie die britische Künstlerin Ima-Abasi Okon zu sein. | |
Manchmal hilft es in solchen Fällen, zu reden oder das Atelier zu besuchen | |
– das ist aber nicht immer möglich. Hier nun müsste, um auf derselben | |
Gedankenhöhe zu sein, die gleiche Bildung nachvollzogen werden, wie sie die | |
1981 geborene Künstlerin vertritt. Das ist recht mühselig. | |
Schon die englischen Titel der einzelnen Arbeiten sind linguistische | |
Elaborate: Mit „120 minutes congregants’ politic of sermonary | |
configurations, 10 x 90 sec of/on murmurings, 15 mile progression of agency | |
of life of free-from of lavender of metabolic capacity of, of, of, of, of | |
of of of the feeling that it is suddenly and inexplicably very easy [at | |
least for a while]“ fängt einer an. Er geht noch gut 15 Zeitungszeilen | |
weiter und müsste in verschiedenen Drucktypen gesetzt werden. | |
Andere sind mit bis zu 50 Sonderzeichen gespickt – eine Wiedergabe ist hier | |
so wenig möglich wie ein Verständnis. Selbst kunstvolle, sprachtheoretische | |
Artefakte, stellen sie eher die zugegeben nicht unintelligente Frage, was | |
denn eigentlich ein Titel klärend bezeichnen könnte, wie dabei der | |
multiperspektivische Denkprozess eine Form finden kann und ob Sprache | |
überhaupt imstande ist, etwas zu bedeuten oder gar ganz neue Realitäten | |
hervorzubringen. Geben Wörter wie „S.t.a.n.d.a.r.d. P.r.a.c.t.i.s.e“ | |
wirklich einen anderen, neuen Sinn, weil deren Buchstaben durch Satzzeichen | |
getrennt werden? | |
Im unteren Raum des Kunstvereins geht es um Kontextualisierung durch | |
Indizes, Zertifikate und Lizenzen. Zitiert wird eine Arbeit des einst auch | |
in Hamburg lehrenden Konzeptkünstlers Stanley Brown, der sich stets mit | |
subjektiven Maßeinheiten befasste; Verträge über Copyright-Übertragungen | |
werden demonstriert. | |
Solche Beispiele der Rechteverwaltung im Kunstbetrieb hängen auf Pinnwänden | |
aus einer Auswahl verschiedener Tropenholzarten. Die Hölzer sollen dabei | |
als Kommentar zu postkolonialen Ausbeutungsprozessen und | |
kapitalismuskritischer Wertediskussion funktionieren … Das aber ist | |
wirklich alles andere als selbsterklärend. Dafür liegt hundertfach ein | |
zweisprachiges, 16-seitiges Heftchen aus, in dem zum eher unwahrscheinlich | |
besseren Verständnis in angestrengt künstlerischer Fake-Wissenschaft das | |
durchaus ernsthafte Thema auf mehreren Metaebenen dialogisch-dialektisch | |
umspielt wird. | |
Sehr direkt dagegen wummert im weitgehend leeren Obergeschoss laut eine | |
R-’n’-B-Paraphrase. Doch die dafür speziell gebauten Boxen haben auch hier | |
in Material und Funktion eine geheimnisvolle Geschichte samt angeblichem | |
Besatz mit einer Hefekultur im Inneren. Auf einem Rattanstuhl davor liegt | |
eingeschweißtes Essen – nicht verkäuflich ohne offizielle Zulassung durch | |
die EU. | |
Das soll als Hinweis darauf gelesen werden, dass nichts aus sich heraus | |
etwas sein darf, dass alles einer Zertifizierung durch spezielle Instanzen | |
bedarf, gerade auch eingewanderte Kulturelemente. Für die hier | |
präsentierte, familiär-kulturelle Traditionsessenszubereitung ist ein | |
solches Zertifikat für eine lebensmittelrechtliche Registrierung beantragt, | |
aber noch nicht erteilt. Ein unauffälliger, leerer Bilderrahmen in der Nähe | |
soll das Dokument zukünftig aufnehmen: Kein Kunstkenner der Welt kann das | |
ohne zusätzliche Vermittlung geeigneter Erzieher auch nur ahnen. | |
So ärgerlich das für die so implizit für dumm erklärten Besucherinnen auch | |
ist, so sehr ist das auch wieder eine Kritik des Kunstbetriebs. Denn das | |
Thema einer notwendigen externen Autorisierung ist in immer größeren | |
Kreisen erweiterbar. | |
Der Kurator beglaubigt Kunstwerke durch seine Person und die Institution, | |
in der er arbeitet, die KünstlerInnen zertifizieren sich durch ihre | |
Biografie mit Ausbildung, Stipendien, Ausstellungen und Lehre – und da kann | |
Ima-Abasi Okon Hervorragendes vorweisen. | |
Dass in den durch die weitläufigen Fenster im Obergeschoss sicht- und | |
erahnbaren Büros und Lagerhäusern meist mit Waren aus südlichen fernen | |
Ländern gehandelt wird, dürfte wohl für niemanden in Hamburg ein sonderlich | |
revolutionärer Hinweis sein, die wie neue Aussichten vor die Fenster | |
montierten drei Großbildschirme mit angeblich in Los Angeles aufgenommenen | |
prototypischen Palmen mit den nach innen montierten schmiedeeisernen | |
tropischen Balkongittern sind als diesbezüglicher Kommentar eine hübsche | |
Banalität. Der südlichen Bäume leichtes Wiegen in einer vermutlich sanften, | |
warmen Brise ist allerdings auch ganz sinnfrei angenehm stimmungsvoll zu | |
genießen. | |
An manchen Stellen sind Jacken scheinbar achtlos abgelegt – angeblich von | |
Marktarbeitern bevorzugte Exemplare, hier dazu mit biometrische Daten | |
sammelnden Armbanduhren ausgestattet. Es soll ein Hinweis darauf sein, dass | |
der Kunstverein ja einst eine Markthalle war und Arbeit im Kapitalismus | |
Stress bedeutet. Das ist wieder so eine verborgene mögliche Geschichte, die | |
ohne zusätzliche Information kaum erschließbar – aber letztlich auch nicht | |
besonderes überwältigend ist. | |
Ima-Abasi Okon möchte das Publikum nicht gängeln, sondern möglichst offen | |
zu eigenen Gedanken animieren. Doch ist in solcher Scheu vor direkten | |
Aussagen auch eine gewisse Verachtung durch Verrätselung zu erkennen, ein | |
manieristischer Hermetismus wie einst im 16. Jahrhundert. Damals, als die | |
großen Meister nicht mehr zu übertreffen waren und in der Kunst alles | |
möglich geworden war, folgte der Freiheit eine grundlegende Krise von Form | |
und Inhalt, ein Spiel mit Täuschungen und Verschlüsselungen bis hin zu | |
heute noch nicht eröffneten Konstruktionen in Bild und Text. | |
Auch an den heute zu Universitäten hochgejazzten Kunstschulen wird oft | |
vergessen, dass nicht alle komplexe Arbeit im Bereich der Kultur gleich | |
auch Kunst ist. So ist diese überambitioniert diskursive Ausstellung mehr | |
ein Buch – für speziell Interessierte vielleicht ganz anregend –, aber | |
paradox misslungene Kunst: Die hochgradig mit Bedeutung aufgeladenen | |
Elemente verweigern besucherunfreundlich ihre Geschichte, die Textflut | |
umspült assoziativ zahlreiche Möglichkeiten und die Offenheit nähert sich | |
bei aller Intellektualität der Beliebigkeit. | |
Ausstellung: Kunstverein in Hamburg, Klosterwall 23, b[1][is 7. 1. 24] | |
1 Dec 2023 | |
## LINKS | |
[1] http://www.kunstverein.de | |
## AUTOREN | |
Hajo Schiff | |
## ARTIKEL ZUM THEMA |