# taz.de -- „Ich bin nicht hergekommen, um dauerhaft zu bleiben“ | |
> Sie wollte Musik machen, aber das brachte sie in Konflikt mit dem | |
> iranischen Regime. Während eines Aufenthalts in Berlin erfuhr Faravaz, | |
> dass sie wegen ihrer Musik im Iran ins Gefängnis muss. Seitdem lebt sie | |
> in Deutschland | |
Bild: Kämpferisch: Faravaz im Videoclip zu ihrem Song „Mullah“ | |
Von Julian Csép | |
Es ist später Nachmittag in Irans Hauptstadt Teheran, die Teenagerin | |
Faravaz und ihre Schwester sitzen vor dem Fernseher. Da hören sie das | |
Klimpern eines Schlüsselbundes vor ihrer Haustür. Da springen die | |
Schwestern auf und hasten zum laufenden VHS-Rekorder. Sie müssen ihn | |
zusammen mit herumliegenden VHS-Kassetten – größtenteils Musikvideos von | |
Celine Dion und George Michael – vor dem Vater verstecken. Denn zu Hause | |
ist das Hören westlicher Musik ungern gesehen. So erzählt es Faravaz bei | |
einem Gespräch in der Kantine der taz. | |
Seit der iranischen Revolution und dem damit verbundenen Ausruf der | |
Islamischen Republik am 1. April 1979 ist westliche Musik und gerade jene | |
von Künstlerinnen streng verboten. Generell ist es nur Männern | |
gestattet, im Iran Musik zu machen, da der weibliche Gesang darauf abziele, | |
den Mann zur „Sünde“ zu verführen. | |
Trotz fehlender weiblicher Rollenmodelle steht für die junge Faravaz fest, | |
dass sie auch Musik machen möchte. Fast ein Jahr redet sie auf ihre Eltern | |
ein, bis sie ihr erlauben, Gitarren- und Gesangsunterricht zu nehmen. All | |
dies ist im Iran für Frauen illegal. „Eines Tages kam ich gleichzeitig mit | |
meinem Vater nach Hause“, erinnert sich Faravaz. „Ich kam gerade vom | |
Gitarrenunterricht, war geschminkt und trug Sandalen. Alles Sachen, die für | |
Frauen im Iran nicht erlaubt sind. Mein Vater sah die Gitarre als Grund für | |
meinen ‚Werteverfall‘ und zerstörte sie daraufhin.“ Was die junge Musike… | |
wiederum zwangsweise dazu brachte, den Gitarrenunterricht zu beenden und | |
sich mehr auf den Gesang zu konzentrieren. | |
Nach einem geheimen Konzert in einem Café, bei dem Faravaz den | |
Backroundgesang für einen iranischen Künstler übernahm, bekam die damals | |
17-Jährige selbst die Gelegenheit, als Solistin aufzutreten. Die | |
Veranstaltung jenes „illegalen Konzerts“ wurde über Mundpropaganda | |
verbreitet und Tickets waren nur auf dem Schwarzmarkt oder im Café selbst | |
erhältlich. | |
Auf dem Weg zu ihrem ersten Konzert passierte es dann. Zusammen mit zehn | |
anderen Mädchen wird sie von der Sittenpolizei verhaftet, die auch für den | |
Tod der iranischen Kurdin Jina Mahsa Amini im September 2022 verantwortlich | |
war. „Im ersten Moment dachte ich, dass ich wegen der verkauften Tickets | |
verhaftet werde“, erzählt Faravaz. „Es hat sich jedoch schnell | |
herausgestellt, dass es nur um einen Verstoß gegen die | |
Kleidungsvorschriften ging. Nachdem ich eine Hose angezogen hatte, die mir | |
unser Pianist von seiner Frau vorbeibrachte, und einen Zettel unterschrieb, | |
konnte ich gehen. Tatsächlich habe ich es auch noch geschafft, das Konzert | |
zu spielen.“ | |
Ihre ersten größeren musikalischen Erfolge erlangte die Sängerin durch ihre | |
eigenhändig produzierten Musikvideos. Verbreitet wurden sie über | |
Social-Media-Plattformen wie Facebook, Soundcloud und Youtube. | |
Plattformen, die im Iran zwar offiziell gesperrt, jedoch mit einem | |
VPN-Zugang zu umgehen sind. | |
Das Genre, dessen Faravaz sich zu dieser Zeit bedient, lässt sich | |
weitestgehend unter Pop-Jazz zusammenfassen. Anders als heute waren die | |
Songtexte der Künstlerin damals noch weit davon entfernt, Kritik an | |
politischen Missständen zu üben. Meist handelten ihre Lieder von Liebe oder | |
kleinen, schönen Alltagsgeschichten. | |
Internationale Aufmerksamkeit errang die Künstlerin mit ihrem Song „Dance | |
with Me“, einem Lied, das lediglich die Freude am Tanzen thematisiert. Die | |
Tatsache jedoch, das der Song von einer iranischen Frau gesungen wurde, | |
sorgte international für Aufsehen. Spätestens als der Song in einem Beitrag | |
des britischen TV-Senders BBC Erwähnung fand, nahm auch die iranische | |
Regierung von Faravaz’ „Karriere“ Kenntnis. Dies führte dazu, dass sie im | |
Zuge einer großen Razzia gegen Musiker*innen im Iran verhaftet wurde. | |
Der Vorwurf lautete, sie sei von den USA und Israel für „westliche | |
Propaganda“ bezahlt worden, um die islamische Kultur zu „schwächen“. | |
„Völlig egal, was ich gesagt habe“, erklärt Faravaz. „Für den Mullah s… | |
meine Schuld von Anfang an fest.“ Das Urteil lautete ein Jahr | |
Freiheitsstrafe, dagegen ging die Künstlerin in Revision. Wenige Monate | |
später – bei einem Konzert in Berlin – bekommt Faravaz den alles | |
verändernden Anruf. Ihr Anwalt teilt ihr mit, dass das iranische Gericht | |
ihr nicht vergebe und sie, sobald sie zurück in Teheran sei, ihre | |
Haftstrafe anzutreten habe. Von jetzt auf gleich muss sich die damals | |
27-Jährige entscheiden: Entweder geht sie ins Gefängnis oder sie verlässt | |
ihre Familie und Heimat auf unbestimmte Zeit. | |
„Ich bin nicht nach Berlin gekommen, um zu bleiben“, sagt Faravaz. „Aber | |
ich habe mich dafür entschieden zu kämpfen, für mich und alle anderen | |
Frauen in meiner Heimat!“ | |
16 Nov 2023 | |
## AUTOREN | |
Julian Csép | |
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