# taz.de -- Möge Allah die Juden und so weiter | |
> Abdel-Hakim Ourghi streitet für einen säkularen Islam und möchte mit | |
> seinem Buch „Die Juden im Koran“ muslimischen Judenhass freilegen | |
Von Till Schmidt | |
Haibar, Haibar, oh ihr Juden! Muhammads Heer wird bald wiederkehren!“ Auch | |
auf vielen antiisraelischen Demonstrationen in Deutschland ist es nur eine | |
Frage der Zeit, bis diese Hetzparole zu hören ist. Der Schlachtruf bezieht | |
sich auf ein Ereignis im Jahr 628, als Muhammad und Anhänger seiner | |
Gemeinde drei jüdische Stämme aus der Oase von Haibar vertrieben, | |
massakrierten oder versklavten. | |
Heute ist der Feldzug von Haibar eine zentrale Referenz in der Bilderwelt | |
des muslimischen Antisemitismus. Für den Islamwissenschaftler Abdel-Hakim | |
Ourghi steht das Ereignis exemplarisch für den gewalttätigen Teil der | |
frühislamischen Geschichte, die Gegenstand seiner neuen Studie „Die Juden | |
im Koran“ ist. | |
Ourghis Buch ist aber weniger eine detaillierte Diskursanalyse zur | |
Repräsentation von Juden im Koran; auch geht es ihm nicht um eine | |
ausführliche Abhandlung der jahrhundertelangen Geschichte von Juden | |
inmitten muslimischer Mehrheitsgesellschaften. Erklärtermaßen verfolgt | |
Ourghi mit seinem Buch vor allem ein dezidiert politisches Ziel: Über eine | |
kritische Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte und den kanonischen | |
Texten sollen aufklärerische Reformprozesse unter Muslimen im Hier und | |
Jetzt angestoßen werden. | |
Abdel-Hakim Ourghi kam im Alter von 23 Jahren aus Algerien nach Deutschland | |
– wie er schreibt als „indoktrinierter Antisemit“. Heute leitet er den | |
Fachbereich Islamische Theologie und Religionspädagogik an der | |
Pädagogischen Hochschule Freiburg. Als Publizist tritt er öffentlich und | |
streitbar für einen reformierten, säkularen Islam ein. Mittlerweile ist | |
Ourghi ein fester und wichtiger Bestandteil des deutschen Islamdiskurses. | |
Gegenwind erfährt er vor allem von den konservativen Islamverbänden. | |
Wen genau Ourghi mit seinem neuen Buch erreichen will, bleibt aber | |
weitgehend unklar. Pädagogische oder politische Handlungsempfehlungen | |
finden sich in „Die Juden im Koran“ nur sehr vereinzelt. Einer breiten | |
Leserschaft, ob muslimisch oder nicht, dürfte Ourghis akademischer, | |
mitunter polemischer Stil nur wenig zuträglich sein. Für einen | |
fachwissenschaftlichen Beitrag hingegen geht sein Buch in weiten Teilen zu | |
wenig in die Tiefe. | |
So nimmt Ourghi etwa keine konzeptuelle Erörterungen von zentralen | |
Begriffen wie Antisemitismus und Antijudaismus vor. Darüber hinaus bleibt | |
er für einige pointiert vorgebrachte Thesen in seinem Text die | |
Beweisführung schuldig. So etwa zum starken Einfluss der islamischen | |
Kleidervorschriften auf die antijüdischen Maßnahmen des historisch | |
bedeutenden IV. Laterankonzils der römisch-katholischen Kirche im Jahr | |
1215. | |
Es ist wichtig, dass Ourghi an die Eigenverantwortung von Muslimen | |
appelliert sowie ihre Handlungsmacht und ihren Einfluss auf historische | |
Entwicklungen hervorhebt. Aber muss es wirklich sein, die früheren | |
diskriminierenden Kleidervorschriften in muslimischen | |
Dominanzgesellschaften kurz und knapp als Vorform des | |
nationalsozialistischen Judensterns darzustellen? In der Debatte, die nicht | |
nur, aber eben auch von antimuslimischen Ressentiments und NS-Relativierung | |
geprägt ist, helfen solche polemischen Spitzen kaum weiter. | |
Ourghis Buch zielt darauf ab, romantisierende Geschichtsnarrative zu | |
entkräften und auf die Gewaltgeschichte von Minderheiten unter muslimischer | |
Herrschaft aufmerksam zu machen. Das ist ein politisch wichtiges Anliegen. | |
Doch zu diesen Themen ist bereits viel und wesentlich ausführlicher | |
geschrieben worden. Für ein Buch, das sich am Ende wohl unspezifisch an | |
eine allgemeine Öffentlichkeit richtet, leistet „Die Juden im Koran“ leider | |
zu wenig. | |
14 Oct 2023 | |
## AUTOREN | |
Till Schmidt | |
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